Das Perpetuum mobile – oder: wie das Provisorische in die Maschine kam

Ausgabe #4
November 2015
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Provisorien können als eine Art Behelf verstanden werden, ephemere gesichtslose Dinge, materielle Halbwertzeiten in persona, besser in re, Überbrückungsbeihilfen für schlechte Zeiten oder auch nur als symbolischer Indikator/Chiffre der, teleologisch betrachtet, den langen Weg bis ‚alles gut ist‘ (wie auch immer das individuell definiert wird) markiert. Im Folgenden steht jedoch nicht diese vor Pluralität strotzende Welt provisorischer Dinge im Mittelpunkt, sondern ein apparativer Antagonist. Als solcher positioniert, weil es eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige Technologie ist, die im Gegensatz zu partiellen, temporär begrenzten Problemlösungsstrategien (in Form von Geräten, Kunstgriffen, etc.) nicht weniger als die Unendlichkeit zum Ziel hat, das ‚sich unentwegt Bewegende‘ besser bekannt als Perpetuum mobile.

Das Prinzip des Perpetuum mobile könnte einfach gesagt wie folgt lauten: Ewige Produktion wird durch unendliche Reproduktion der Arbeitsabläufe mit endlichem Aufwand erzielt. Es handelt sich, physikalisch konkret, um einen Apparat, der entweder mehr Energie 11Der Terminus Energie (griech. ergon; dt. Arbeit) wird im Rahmen dieser Darstellung in seiner modernen physikalischen Bedeutung von 1850 verwendet: Fähigkeit eines Gegenstandes oder Systems Arbeit zu verrichten. Für frühere Bedeutungsebenen vgl. Norbert Schirra: Die Entwicklung des Energiebegriffs und seines Erhaltungskonzepts. Eine historisch, wissenschaftstheoretische, didaktische Analyse, Frankfurt a.M. 1991 S. 5ff, S. 159ff. erzeugt, als ihm zugeführt wird, oder nach nur einmaliger Zufuhr von Energie kontinuierlich und nie endend Arbeit verrichtet. 22Vgl. Gernot Böhme: Am Ende des Baconschen Zeitalters: Studien zur Wirtschaftsentwicklung, Frankfurt a.M.  1993, S. 297ff. Dieses maschinelle Konstrukt gibt sich also eindeutig nicht mit einer unbestimmbaren Vorläufigkeit des Gebrauchs oder etwaigen Ineffizienzen zufrieden.

Die Idee, eine solche Wundermaschine zu entwickeln, wird wahrscheinlich im 13. Jahrhundert von Indien nach Europa transportiert. Aus dieser Zeit findet sich der früheste überlieferte Konstruktionsplan für eine perpetische Apparatur von Villard de Honnecourt. 33Vgl. Schirra: Die Entwicklung des Energiebegriffs und seines Erhaltungskonzepts (wie Anm. 1), S.45. Wenn auch der Idee Perpetuum mobile bis heute die thermodynamischen Fachdebatten des 19. Jahrhunderts anhaften, evoziert es im mittelalterlich-christlichen Europa, welches durch das aristotelische Weltbild geistig determiniert ist, eher Abneigung und Furcht als ernsthafte wissenschaftliche Reibungspunkte. Denn „[…] nicht etwa die Durchbrechung der Energieerhaltung, sondern die Ewigkeit war die große Herausforderung.“ 44Böhme: Am Ende des Baconschen Zeitalters (wie Anm. 2), S. 297. Die gottgegebene Welt – immerhin eine Art ‚natürliches‘ Perpetuum mobile ob der ewig anmutenden Rotation des Planeten – in einer Maschine zu imitieren wird noch lange Zeit seitens der Obrigkeit als Blasphemie angesehen werden. Erst im 17. Jahrhundert zeichnet sich eine neue Entwicklungstendenz in der perpetischen Geschichte ab.

Diese hängt unter anderem mit den massiven Transformationsprozessen innerhalb der europäischen Wissenschaftsgemeinschaft zusammen, welche eine Neukonstituierung ihrer internen Transfervorgänge und Wissensgenerierungsprozesse zur Folge haben. „Um 1600 verdichtet sich die praktisch ausgerichtete, genaue Beobachtung zum entdeckenden Experiment wobei immer häufiger Kunstgriffe angewendet werden, um Naturphänomene hervorzurufen, die nicht von selbst auftreten.“ 55Hendrik Flores Cohen: Die zweite Erschaffung der Welt: wie die moderne Naturwissenschaft entstand, dt.v. A.Ecke u. G. Seferus, Frankfurt a.M. 2010, S. 134. Es gilt entgegen der christlichen Weltanschauung zunehmend als möglich, die gottgegebene Natur in einer Maschine nachzuahmen, gar als erforderlich, um Naturgesetze mit Hilfe physikalischer Experimente formulieren zu können. Nicht zuletzt wegen dieser methodischen Verschiebungen im Selbstverständnis der Forschenden hat der Prozess auch institutionelle Folgen. Da sich die kirchlich kontrollierten und aristotelisch determinierten Universitäten diesem Wandel verschließen, bilden sich zwangsläufig neuartige intellektuelle Gemeinschaften heraus, die durch die enge Verbindung von Wissen und Kapital gekennzeichnet werden können. 66Vgl. Paolo Rossi: Die Geburt der modernen Wissenschaft in Europa. Dt. v. S. Charnitzky und C. Büchel, München 1997, S. 293ff.

Die zunehmende Anzahl einflussreicher Akademien, z. B. 1662 ‚Royal Society‘, 1666 ‚Academie Royale des Sciences‘, markiert somit nicht nur eine Neuformierung des institutionellen Selbstverständnisses von einem Ort der Wissensvermittlung hin zu einer Plattform des Informationenaustausches, Hypothetisierens und Debattierens. 77Vgl. ebd. S. 111ff. Weiterhin sind die Akademien auch ein Indikator dafür, wie das Wissensmonopol sich von kirchlicher Kontrolle hin zu politisch-ökonomischer bewegt.

Im Rahmen dieses komplexen Transformationsprozesses, der hier lediglich rudimentär umrissen werden kann, kommt dem Perpetuum mobile eine neuartige Bedeutung zu, welche durch rational-wirtschaftliche Interessen bedingt ist, denn: Eine allmächtige Apparatur bedeutet zugleich unendlichen Reichtum – leidige Wartungskosten an Produktionsapparaten oder gar kostenintensive Neuanschaffungen wären kein unternehmerisches Risiko mehr. Diese neuen Bedingungsfelder in der Wissenschaftslandschaft motivieren zahlreiche Tüftler und Ingenieure die Idee eines Perpetuum mobile in mechanische Realität umzusetzen. 1718 scheint es endlich soweit – die europäische Elite bis hin zum russischen Zar Peter I. erfährt vom ‚Kassler Rad‘, dem ersten Perpetuum mobile. Johann Ernst Elias Beßler, alias Orffyré, suchte nach Investoren für seine perpetische Konstruktion und lieferte dafür sogar im Vorfeld einer möglichen Geldtransaktion den Beweis: Zwölf Wochen lang drehte sich die radförmige Apparatur in seinem Haus – diese Demonstration, drei Monaten exemplarisch für die Unendlichkeit, reichten aus, um die korrekte Funktionsweise attestiert und eine breite öffentliche Aufmerksamkeit, insbesondere möglicher Geldgeber, generiert zu bekommen. Erst nach dem Tod Orffyrés‘ wurde die Wahrheit offenbar – das  Rad drehte sich aus dem Grund wochenlang, da gut bezahlte Angestellte heimlich für Energienachschub sorgten. 88Vgl. Joachim Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetuum Mobile, Berlin 2006, S. 12ff.

Henry Dircks konstatiert 1861 in seiner historischen Untersuchung Perpetuum mobile. Or, a history of the research of self-motive power from the 13th to the 19th century mit kritischer Distanz perpetische Forschungsvorhaben wie folgt: „The drawback to these researches is their being exceedingly expensive, and has ruined more than one family; often mechanics, who could have rendered great services to the public, have wasted their means, time an genius.“ 99Henry Dircks: Perpetuum mobile. Or, a history of the research of self-motive power from the 13th to the 19th century, Neudruck der Originalausgabe London 1861, Amsterdam 1968, S.191.

Diese Feststellung schließt sich der institutionellen Positionierung an, immerhin ließ die Pariser Akademie der Wissenschaften bereits 1775 per Resolution verlauten, dass sie keine weiteren Patentanträge für Perpetua mobilia prüfen würde. Trotzdem sollte an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Konzept ‚sich unentwegt bewegende Maschine‘ sowie die daraus resultierenden Experimente seit dem 13. Jahrhundert einen starken Ideen- und Innovationsgenerator darstellen, der trotz weitest gehender Negierung einen Aspekt des naturwissenschaftlichen Forschungsverständnisses definiert. Wissenschaftler versuchen mit ihren Apparaturen technologisch-kreativ auf epochale Bedürfnisse zu reagieren und die Zukunft positiv mitzugestalten. Nicht temporäre Möglichkeiten, sondern uneingeschränkte Problemlösungsstrategien sind das Ziel. Im vorliegenden Fall wäre dies die Frage nach effizienter, verlässlicher und günstiger Energieversorgung. Eine Frage, die im 19. Jahrhundert eine ganz eigene Brisanz erhalten wird und das Perpetuum mobile in einen neuen wissenschaftlichen Betrachtungsmodus transponiert.

1845 veröffentlicht der Heilbronner Arzt Robert Julius Mayer eine Schrift, die mit folgenden Worten eingeleitet wird: „Ex nihilo nil fit. Nil fit ad nihilum. […] Die Wirkung der Kraft ist wiederum Kraft.“ 1010Robert Julius Mayer: Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel. Ein Beitrag zur Naturkunde, Heilbronn 1845, S. 5. Wenige Seiten später ergänzt er seine Überlegungen mit den Worten: „Die Wärme ist eine Kraft; sie lässt sich in mechanischen Effekt verwandeln.“ 1111Ebd., S. 10. Damit findet sich der Mediziner in einer Debatte wieder, die zu diesem Zeitpunkt ausschließlich dem physikalischen Terrain zuzuordnen ist und vornehmlich aus dem exponentiell zunehmenden Einsatz der Dampfmaschine seit dem späten 18. Jahrhundert resultiert.  Dieser war auch mit Fragen der Effizienzsteigerung und Optimierung im Sinne der Wirtschaftlichkeitsinteressen der Industriellen eng an naturwissenschaftliche Ideengenese, besonders im Bereich der Thermodynamik, gekoppelt. James Prescott Joule verleiht erst in den 1840er Jahren dem bis dahin unscharfen Betrachtungsgegenstand Wärme mehr Kontur, als er eine Methode zur Messung von Temperaturen entwickelt. 1212Vgl. Engelhard Weigl: Instrumente der Neuzeit. Die Entdeckung der modernen Wirklichkeit, Stuttgart 1990, S. 86ff. Mayer setzt dort an, indem er Wärme als Kraft definiert. In seiner Schrift heißt es weiter „Bei allen physikalischen und chemischen Vorgängen bleibt die gegebene Kraft eine konstante Größe […]“. 1313Mayer: Dir organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel (wie Anm. 10), S. 32. Kurzum, eine Maschine, die mehr Energie erzeugt, als ihr ursprünglich zugeführt wurde, ist nach dieser Annahme nicht möglich.

Hermann von Helmholtz ist der erste Wissenschaftler, der dieser (Perpetua mobilia negierenden) These eine universell-physikalische Gültigkeit verleiht, indem er sie mathematisch adäquat formuliert. Dabei rekurriert er explizit auf die Idee der Erhaltung der Energie von Mayer: „Wir gehen von der Annahme aus, dass es unmöglich sei, durch irgendeine Combination von Naturkörpern bewegende Kraft fortdauernd aus nichts zu erschaffen.“ 1414Hermann von Helmholtz: Über die Erhaltung der Kraft (1847). Hrsg. v. Wilhelm Ostwald, Bd.1; Leipzig 1907, S.7. Der Verdienst, den ersten Hauptsatz der Thermodynamik formuliert zu haben, kommt dem Physiologen aus dem Grund zu, da er die Annahme der Erhaltung der Energie in allen Teilbereichen der Physik prüft, bestätigt und schlussendlich per definitionem konstituiert. Das Gemeinschaftsprojekt ‚I. Hauptsatz der Thermodynamik‘ stellte jedoch neue Forderungen an die Physik. Denn das Wissen um die Erhaltung der Energie lässt noch keinen Schluss auf die Richtung der Vorgänge zu, oder, mit dem Perpetuum mobile gesprochen, bleibt die Frage offen, ob es nicht zumindest eine Maschine geben kann, die nach einmaliger Energiezufuhr unaufhörlich Arbeit verrichtet.

Den Ausgangspunkt für die Bearbeitung dieser Problematik stellt der Carnot-Kreisprozess dar, der 1824 von Sadi Carnot als Gedankenexperiment konzipiert wurde und ein System mit einhundertprozentiger Effizienz und reversibler Maschinenprozessualität beschreibt. 1515Vgl. Sadi Carnot: Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen. Hrsg. u. übers. v. Wilhelm Ostwald, Bd. 37, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1995, S. 67. Es handelt sich dabei zwar nicht um ein Perpetuum mobile, aber immerhin um eine verlustfrei arbeitende Maschine, eine Idee, die den ökonomischen Utopien der Zeit entspricht. Darüberhinaus motiviert sie Wissenschaftler intensiv über thermodynamische Fragestellungen zu arbeiten, beispielsweise William Thomson und Rudolf Clausius. Letztgenannter kommt durch seine von Carnot angeregten Untersuchungen zu dem – diesem widersprechenden – Schluss, dass  „[…] nie Wärme aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen [kann], wenn nicht gleichzeitig eine andere damit zusammenhängende Veränderung eintritt.“ 1616Rudolf Clausius: Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie, nebst ihrer Anwendung auf die in die Wärmelehre gehörigen Eigenschaften der Körper und auf die Dampfmaschinentheorie enthalten: vervollständigt durch eine mathematische Einleitung und durch erläuternde Anmerkungen und Zusätze. Abth. 1, Braunschweig 1864, S. 134. Das heißt, dass innerhalb von Arbeitsprozessen‘, immer ein gewisser Teil der Energie verloren geht, so dem nicht entgegen gewirkt wird. In dem zweiten Band seiner Wärmetheorie untersucht Clausius intensiv irreversible Kreisprozesse, in denen dem Energieverlust eben nicht entgegengearbeitet wird, dieser vielmehr vorprogrammiert ist und einkalkuliert wird. Clausius benennt diese physikalische Größe mit dem Buchstaben S.

Da ich es aber für besser halte, die Namen derartiger für die Wissenschaft wichtiger Grössen aus den alten Sprachen zu entnehmen, damit sie unverändert in allen neuen Sprachen angewandt werden können, so schlage ich vor, die Grösse S nach dem griechischen Wort, die Verwandlung, die Entropie des Körpers zu nennen. Das Wort Entropie habe ich absichtlich dem Wort Energie möglichst ähnlich gebildet, denn die beiden Grössen, welche durch diese Worte benannt werden sollen, sind ihre physikalischen Bedeutungen nach einander so verwandt, dass eine gewisse Gleichartigkeit in der Benennung mir zweckmässig zu sein scheint. 1717Rudolf Clausius: Abhandlungen über die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die electrischen Erscheinungen: nebst einer Einleitung in die mathematische Behandlung der Electricität, Abhandlungen über die zur Erklärung der Wärme angenommenen Molecularbewegungen und eine auf die allgemeine Theorie bezügliche Abhandlung; vervollständigt durch erläuternde Anmerkungen und Zusätze. Abth. 2, Braunschweig 1867, S. 34.

Dieser terminus technicus lässt Clausius einige Seiten später zu folgender Zusammenfassung der thermodynamischen Naturgesetze kommen: „1) Die Energie der Welt ist constant. 2) Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu.“ 1818Ebd., S. 44. Oder anders: Die Konstruktion eines Perpetuum mobile ist nicht möglich, eine Maschine kann nie mehr Energie erzeugen, als vorhanden ist bzw. nie ohne Impuls arbeiten. Und: Sobald ein System Arbeit verrichtet oder Wärme mit seiner Umgebung austauscht, strebt es den Ausgleich der thermodynamischen Zustände an.

Beispielsweise ist viel heiße Luft in dem blechernen Gehäuse der Dampfmaschine. Durch Wechselwirkung mit einem anderen System, wie etwa in dem die Maschine einen Motor antreibt, nimmt ihre Entropie zu, das heißt nach einer bestimmten Zeitdauer wird die Luft in ihr so warm/kalt sein, wie die sie umgebende. Solch ein Prozess wird als mechanische Arbeit bezeichnet. Aus thermodynamischer Sicht bedeutet das: Die Moleküle ‚warm‘ und ‚kalt‘ vermischen sich bis hin zu einem Zustand der Ununterscheidbarkeit (atomares Chaos). Ab diesem Moment kann die Dampfmaschine nicht mehr arbeiten, sie ist zur Betriebsunfähigkeit abgekühlt, ihr Maximum an Entropie ist erreicht, sie ist ‚tot‘. Sie kann nur dann über einen längeren Zeitraum Arbeit verrichten, wenn sie durch Energiezufuhr außerhalb des Systems erwärmt wird. Jedes organische und anorganische System unterliegt der Entropie und ist demnach endlich.

Mit der Konstituierung der thermodynamischen Gesetze, einschließlich der Erfindung des Entropie-Begriffs, gilt die Konstruktion eines Perpetuum mobile als unmöglich. Trotzdem der Entropie-Begriff in den folgenden Jahrzehnten in verschiedensten Disziplinen einer Neukontextualisierungen unterzogen wurde – in der Physik selbst in den Arbeiten von James Clark Maxwell durch die Konzeption des gleichnamigen Dämons, oder auch durch die statistische Interpretation seitens Ludwig Boltzmann; in der Informationstheorie von Claude Shannon und Warren Weaver – hat  seine thermodynamische Auslegung  bis in die Gegenwart Bestand.

Entropie ist, und deswegen bildete sie die große Wolke des Pessimismus über dem späten 19. Jahrhundert, ein ganz eindeutiger Zeitpfeil und damit der Inbegriff der Geschichte. Es gibt kein Zurück in der Thermodynamik, sondern nur eine ununterbrochene und irreversible Diffusion und Entwertung aller Ordnung. 1919Claus Pias: „Das digitale Bild gibt es nicht. Über das (Nicht-)Wissen der Bilder und die informatische Illusion“, in: zeitenblicke 2 (2003), Hft. 1, <66>, auf: http://www.zeitenblicke.de/2003/01/pias/index.html.

Durch die Einführung dieses metaphorischen Zeitpfeils, durch die Festsetzung des Zerfalls und des Chaos als lebensweltlichem Leitmotiv, wird allen folgenden apparativen Anwendungen automatisch provisorisches Potenzial eingeschrieben. Die Negation eines Perpetuum mobile bedeutet die Zuwendung zum Unvollkommenen und die Anerkennung des zeitlich Begrenzten. Das dem Provisorischen etymologische zu Grunde liegende ‚in die Zukunft blicken‘ schließt den sinnbildlich gesprochenen ‚Blick zurück‘ aus. Mit der ‚bewiesenen‘ physikalischen Unmöglichkeit des Perpetuum mobile beginnt der Siegeszug des Provisorischen – es kann keine technische Apparatur geben, die sich im Sinne von Langlebigkeit, Effizienz und Austauschbarkeit dessen Paradigma entzieht.

    Fußnoten

  • 1Der Terminus Energie (griech. ergon; dt. Arbeit) wird im Rahmen dieser Darstellung in seiner modernen physikalischen Bedeutung von 1850 verwendet: Fähigkeit eines Gegenstandes oder Systems Arbeit zu verrichten. Für frühere Bedeutungsebenen vgl. Norbert Schirra: Die Entwicklung des Energiebegriffs und seines Erhaltungskonzepts. Eine historisch, wissenschaftstheoretische, didaktische Analyse, Frankfurt a.M. 1991 S. 5ff, S. 159ff.
  • 2Vgl. Gernot Böhme: Am Ende des Baconschen Zeitalters: Studien zur Wirtschaftsentwicklung, Frankfurt a.M.  1993, S. 297ff.
  • 3Vgl. Schirra: Die Entwicklung des Energiebegriffs und seines Erhaltungskonzepts (wie Anm. 1), S.45.
  • 4Böhme: Am Ende des Baconschen Zeitalters (wie Anm. 2), S. 297.
  • 5Hendrik Flores Cohen: Die zweite Erschaffung der Welt: wie die moderne Naturwissenschaft entstand, dt.v. A.Ecke u. G. Seferus, Frankfurt a.M. 2010, S. 134.
  • 6Vgl. Paolo Rossi: Die Geburt der modernen Wissenschaft in Europa. Dt. v. S. Charnitzky und C. Büchel, München 1997, S. 293ff.
  • 7Vgl. ebd. S. 111ff.
  • 8Vgl. Joachim Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetuum Mobile, Berlin 2006, S. 12ff.
  • 9Henry Dircks: Perpetuum mobile. Or, a history of the research of self-motive power from the 13th to the 19th century, Neudruck der Originalausgabe London 1861, Amsterdam 1968, S.191.
  • 10Robert Julius Mayer: Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel. Ein Beitrag zur Naturkunde, Heilbronn 1845, S. 5.
  • 11Ebd., S. 10.
  • 12Vgl. Engelhard Weigl: Instrumente der Neuzeit. Die Entdeckung der modernen Wirklichkeit, Stuttgart 1990, S. 86ff.
  • 13Mayer: Dir organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel (wie Anm. 10), S. 32.
  • 14Hermann von Helmholtz: Über die Erhaltung der Kraft (1847). Hrsg. v. Wilhelm Ostwald, Bd.1; Leipzig 1907, S.7.
  • 15Vgl. Sadi Carnot: Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen. Hrsg. u. übers. v. Wilhelm Ostwald, Bd. 37, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1995, S. 67.
  • 16Rudolf Clausius: Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie, nebst ihrer Anwendung auf die in die Wärmelehre gehörigen Eigenschaften der Körper und auf die Dampfmaschinentheorie enthalten: vervollständigt durch eine mathematische Einleitung und durch erläuternde Anmerkungen und Zusätze. Abth. 1, Braunschweig 1864, S. 134.
  • 17Rudolf Clausius: Abhandlungen über die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die electrischen Erscheinungen: nebst einer Einleitung in die mathematische Behandlung der Electricität, Abhandlungen über die zur Erklärung der Wärme angenommenen Molecularbewegungen und eine auf die allgemeine Theorie bezügliche Abhandlung; vervollständigt durch erläuternde Anmerkungen und Zusätze. Abth. 2, Braunschweig 1867, S. 34.
  • 18Ebd., S. 44.
  • 19Claus Pias: „Das digitale Bild gibt es nicht. Über das (Nicht-)Wissen der Bilder und die informatische Illusion“, in: zeitenblicke 2 (2003), Hft. 1, <66>, auf: http://www.zeitenblicke.de/2003/01/pias/index.html.
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