Fotografische Zurichtung privater Dinge. Einige Überlegungen zur Publikation Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets

Ausgabe #3
November 2014
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Erzählen private Notizbücher, Tonbandkassetten und Fotografien Geschichten? Oder berichten gesammelte Früchte und Steine vom Krieg? Der libanesische Künstler Akram Zaatari transformiert scheinbar belanglose Dinge zu Bedeutungsträgern.

I Prolog

Seit einigen Jahren lässt sich in der zeitgenössischen Kunst eine zunehmende Beschäftigung mit Dingen und ihrer Materialität beobachten. Auch der libanesische Künstler Akram Zaatari schreibt durch sein Interesse an der Objekthaftigkeit von Gegenständen an einer „Konjunktur der Dinge“ 11Von einer solchen sprechen Anke te Heesen und Petra Lutz und argumentieren, dass es dieser Konjunktur zu verdanken sei, dass „das Kleine und Abseitige wieder entdeckt und die Bedeutung des Alltäglichen nobilitiert [wurde]. Scheinbar unscheinbare Gegenstände, die keinen direkt ersichtlichen materiellen Wert aufweisen, oder kuriose Dinge, die weder der Kunst noch eindeutigen Funktionszusammenhängen zugeschlagen werden können“ geraten auf diese Weise in den Blick. Anke te Heesen, Petra Lutz: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln u.a. 2005, S. 11−23, hier S. 15. mit. Vor diesem Hintergrund und ausgehend von der Publikation Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets 22Karl Bassil, Akram Zaatari (Hg.): Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets [Postscript Portikus, Frankfurt am Main 2004; Ausst.-Kat. Kunstverein, München; Sfeir-Semler Gallery und Beirut Art Center, Beirut 2009]. Frankfurt a.M. [u.a.] 2009. möchte dieser Text nach dem besonderen Status von Dingen im Werk Akram Zaataris fragen, ohne dabei dessen künstlerische Praxis in ihrer Gesamtheit darzustellen oder erschöpfend beleuchten zu wollen. Vielmehr dient benannte Publikation dazu, gleichsam paradigmatisch Zaataris Umgang mit gefundenen Objekten und insbesondere seine fotografische Inszenierung banal anmutender Gegenstände in den Blick zu nehmen.

Abb. 1: Akram Zaatari: Untitled (Photo albums, envelopes, and negatives from the early 1980s), 2009, C-Print, framed, 91x112cm, Ed5+1. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.
Abb. 1:
Akram Zaatari: Untitled (Photo albums, envelopes, and negatives from the early 1980s), 2009, C-Print, framed, 91x112cm, Ed5+1. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.

Bei der großformatigen und knapp vierhundert Seiten umfassenden Publikation handelt es sich um ein eigenartiges Hybrid, dessen Status zwischen Künstlerbuch und Ausstellungskatalog changiert. Für den Status eines Künstlerbuchs spricht die Tatsache, dass der Künstler als Mitherausgeber fungiert und die größtenteils aus ganzseitigen Farbabbildungen sowie aus einzelnen Essays 33Bei den Essays handelt es sich um Texte von Hannah Feldman, Laura U. Marks, Rasha Salti und Kaelen Wilson-Goldie, die jeweils einer der vier thematisierten Videoarbeiten − All Is Well on the Border (1997), This Day (2003), In This House (2005) und Nature Morte (2007) − gewidmet sind. Zudem finden sich Interviews, die der Künstler mit verschiedenen Akteuren seiner Videoarbeiten geführt hat. bestehende Publikation ein hohes Maß an künstlerischer Eigenständigkeit zu erkennen gibt. Daneben dient sie auch als Ausstellungskatalog. So wurde das Buch 2009 als Postskript − also als Nachschrift − zu der fünf Jahre zuvor im Portikus/Frankfurt am Main gezeigten Ausstellung Akram Zaatari. Unfolding veröffentlicht und fungierte zugleich als Begleitpublikation für drei mit Earth of Endless Secrets betitelte Ausstellungen, die 2009 im Kunstverein München und anschließend im Beirut Art Center sowie der Sfeir-Semler Gallery in Beirut zu sehen waren. Thematisch und konzeptionell lassen sich die unter identischem Titel zusammengefassten Ausstellungen als Kontinuation verstehen, wobei einzelne Arbeiten in beiden Ausstellungen gezeigt wurden. Auch die Ausstellungstitel lassen sich im Sinne der Fortführung lesen. Während das Archäologische bereits mit Unfolding − verstanden als Offenlegung im Sinne des Hervorholens oder Freilegens – in den Blick gerät, knüpft Earth of Endless Secrets an diesen Aspekt an, indem der lyrische Titel verbaliter eine ‚Welt unzähliger Geheimnisse‘ verspricht, in ‚Earth‘ jedoch wiederum das Moment des Ausgrabens anklingt – kann dieser Terminus doch auch mit ‚(Erd-)Boden‘ oder ‚Erdreich‘ übersetzt werden. Auf diese Weise lassen sich sowohl Akram Zaatari. Unfolding als auch Earth of Endless Secrets durchaus im Kontext der von Knut Ebeling konstatierten „Aktualität des Archäologischen“ 44Knut Ebeling: „Die Mumie kehrt zurück II. Zur Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Kunst und Medien“, in: Ders., Stefan Altekamp (Hg.): Die Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Medien und Künsten. Frankfurt a.M. 2004, S. 9–30, hier S. 13. Zaataris Praxis lässt überdies auch an die Analyse des Materiellen bzw. an die Untersuchung der materiellen Kultur denken, wie sie etwa von Michel Foucault in der Archäologie des Wissens eingefordert wird. Vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens [frz. 1969], Frankfurt a.M. 2000. verorten.

Abb. 2: Akram Zaatari: Untitled (Photo albums, envelopes, and negatives from the early 1980s), 2009, C-Print, framed, 91x112cm, Ed5+1. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.
Abb. 2:
Akram Zaatari: Untitled (Photo albums, envelopes, and negatives from the early 1980s), 2009, C-Print, framed, 91x112cm, Ed5+1. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.

II Zwischen belanglos und bedeutungsvoll.
Zur Semantik von Zaataris Gegenständen

Ihren ursprünglichen Kontexten und einstigen Funktionszusammenhängen enthoben, präsentiert die Publikation Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets unterschiedliche Gegenstände in Form ganzseitiger farbiger Abbildungen. Bei den stets als isolierte Objekte vor neutralem hellen Grund gezeigten Gegenständen handelt es sich um Dinge, die der Künstler gefunden oder hergestellt hat, und die ihm entweder selbst oder einzelnen Akteuren seiner Videoarbeiten zugeordnet werden können. Naturalien wechseln sich mit industriell gefertigten Produkten sowie gefundene mit privat geschaffenen oder gesammelten Dingen ab. Werden von der Natur hervorgebrachte Dinge − wie Steine oder getrocknete Eicheln – vom Menschen geschaffenen, anthropogenen Objekten gegenübergestellt – etwa Fotografien, Notizbüchern oder Tonbandkassetten. Ungeachtet der Heterogenität der einzelnen Objekte wird über die fotografische Inszenierung eine systematische Ordnung erzeugt, durch welche die Gegenstände als Teil eines Arrangements ausgewiesen werden. Aufgrund der formal-ästhetischen Strenge und der daraus resultierenden visuellen Gleichförmigkeit 55Werden die gut ausgeleuchteten Gegenstände in der Regel als singuläre Objekte mittig platziert und meist nur in einer Ansicht wiedergegeben, werden einige Gegenstände auch als Abfolge aus unterschiedlichen Perspektiven sowie auf mehreren Seiten gezeigt. Überdies existieren einige wenige Seiten mit Objektensembles, bei denen mehrere Gegenstände in gleichmäßigen Reihen angeordnet und so zu einer Ordnung gruppiert werden. erinnert die dieserart entstandene Objektanordnung an (natur-)wissenschaftliche Ordnungen oder enzyklopädische Klassifizierungssysteme. Der offensichtliche Eklektizismus der disparaten Objekte lässt überdies auch an Wunderkammern bzw. Kuriositätenkabinette denken. Im Kontext von Akram Zaataris künstlerischer Praxis sowie angesichts der fotografischen Reproduktion der Gegenstände scheint die Assoziation zu archäologischen Fundstücken, die nach der Ausgrabung klassifiziert und fotografisch erfasst werden, allerdings am plausibelsten. Dies nicht nur, weil die Gegenstände durch ihre fotografische Zurichtung an sorgfältig für die fotografische Dokumentation aufgereihte archäologische Artefakte erinnern. Für solch eine Lesart spricht überdies, dass Zaataris künstlerisches Tun in seiner Systematik gleichsam an das eines Archäologen erinnert. Denn so wie ein Archäologe materielle Überreste aufspürt und aushebt, um sie auf diese Weise für die Forschung zugänglich zu machen, so ist auch der Künstler auf der Suche nach Verborgenem. Nach privaten Geschichten und persönlichen Gegenständen, die als Spuren des libanesischen Bürgerkriegs auf das erlittene Trauma verweisen und Auskunft über den Zustand der libanesischen Nachkriegsgesellschaft geben.

Abb. 3: Akram Zaatari: Untitled, Nabih Awada's book of letters, 2007, C-Print, framed, 91x74cm. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.
Abb. 3:
Akram Zaatari: Untitled, Nabih Awada’s book of letters, 2007, C-Print, framed, 91x74cm. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.

Eine Nähe zum Archäologischen manifestiert sich bei Akram Zaatari indes auch auf sprachlicher Ebene. So bezeichnet der Künstler seine Gegenstände etwa als „objects of archaeological value“ 66Akram Zaatari: „Preface”, in: Bassil, Ders.: Akram Zaatari (wie Anm. 2), S. 5.. Und auch bei den Begriffen „fosil“, „excavation“ oder „fieldwork“, mit denen Zaataris ästhetische Praxis wiederholt umschrieben wird, handelt es sich um aus den Disziplinen Archäologie und Ethnographie entlehnte Termini. 77Zum paläologischen Begriff des Fossils siehe Hannah Feldman und Akram Zaatari: „Mining War. Fragments from a Conversation Already Passed”, in: Art Journal, Vol 6 (Summer 2007), S. 48–67 oder Stuart Comer: „Interview mit Akram Zaatari”, in: Juan Vicente Aliaga (Hg.): Akram Zaatari. El molesto asunto / The Uneasy Subject. [Ausst.-Kat. MUSAC León 2011; MUAC Mexico DF 2012]. Mailand 2011, S. 111−133. Zum Term ‚excavation‘ bzw. Ausgrabung vgl. Akram Zaatari: „Photographic Documents / Excavation as Art“, in: Charles Merewether (Hg.): The Archive. London 2006, S. 181–184. Auch den Begriff „fieldwork“ − im Sinne der ethnografischen Methode der Feldforschung − verwendet Zaatari selbst, um seine Praxis zu beschreiben. So etwa: “My artistic position lies in […] uncovering images, classifying and presenting them as the findings of fieldwork.” Zaatari in: Merewether 2006, S. 182. An dieser Stelle kann nur verweisartig darauf verwiesen werden, dass der Künstler zahlreiche seiner Arbeiten die sich mit dem Archiv des Fotografen Hashem el Madani beschäftigen unter dem Titel Objects of Study subsumiert und dass auch in dieser Betitelung der Objekte als Untersuchungsgegenstände sowie im Umgang mit Materialien aus dem Archiv des Studio Sherazade (so der Titel von Madanis Fotostudio) wiederum das Moment des Archäologischen angelegt ist. Sie alle verweisen auf Zaataris Interesse am Archäologischen und auf sein Spiel mit der wissenschaftlichen Methodik. Denn ganz offensichtlich betreibt der Künstler keine wissenschaftliche Archäologie, sondern vielmehr eine Form der methodischen und semantischen Mimikry der Disziplin und positioniert sich damit gewissermaßen in Nachfolge von Künstlern der Spurensicherung. 88Zum Paradigma der Spurensicherung sowie zur gleichnamigen Kunstströmung siehe etwa Günter Metken: Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung. Fiktive Wissenschaft in der heutigen Kunst. Köln 1977; ders.: Spurensicherung. Eine Revision. Texte 1977–1995. Amsterdam [u.a.] 1996; Cornelius Holtorf: „Archäologie als Spurensicherung“, in: Ebeling, Altekamp: Die Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Medien und Künsten (wie Anm. 4), S. 306–324; zum Spiel mit der archäologischen Methode vgl. besonders S. 313−316. Wie schon die Künstler der sich in den 1970er Jahren etablierenden Kunstströmung agiert auch Akram Zaatari als Sammler und Spurensicherer, der die materiellen Spuren der Vergangenheit freilegt und sichert, und diese schließlich im fotografischen Bild konserviert. Und ebenfalls in Analogie zur Kunst der Spurensicherung handelt es sich auch bei Zaataris Gegenständen weder um Träger eines objektiven Wissens noch um kostbare Artefakte, sondern um persönliche, materiell wertlose Dinge. Derartige, von Peter Geimer als „Zeugs“ 99Als „Zeugs“ bezeichnet Peter Geimer Dinge, die an sich belanglos sind und die ihre Wertigkeit über das Symbolische empfangen. Vgl. Peter Geimer: „Über Reste“, in: te Heesen, Lutz: Dingwelten (wie Anm. 1), S. 109−118, hier S. 114.Nach Geimer stellt sich die Frage nach dem Wesen der Dinge „insbesondere dann, wenn das ausgestellte Objekt keinen eigentlichen Materialwert besitzt, wenn es nicht als Kunstwerk gilt, keine kulturhistorische Bedeutung hat, sondern seinen Gehalt einzig einer symbolischen und unsichtbaren Beziehung verdankt.“ Ebd. S. 109. gekennzeichnete, Gegenstände zeichnen sich dadurch aus, dass sie an sich bedeutungslos sind und ihnen Bedeutung in Form externer Zuschreibungsprozesse attribuiert wird. Vor diesem Hintergrund erfahren Zaataris banal anmutende Gegenstände − deren Zusammenstellung erst einmal willkürlich erscheint − in Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets durch korrespondierende Textbausteine, beigegebene Essays sowie durch ihre Ankopplung an vier Videoarbeiten 1010Bei diesen handelt es sich um All Is Well on the Border (1997), This Day (2003), In This House (2005) und Nature Morte (2007). Ohne die einzelnen Videoarbeiten hier en détail und in ihrer je eigenen thematischen und ästhetischen Spezifik diskutieren zu können, kann konstatiert werden, dass diese bei der Publikation Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets als rahmende Klammer fungieren, um direkt oder implizit die Auswirkungen des libanesischen Bürgerkriegs zu befragen. eine Sinnaufladung und transformieren so zu Bedeutungsträgern.

Wesentlich ist in diesem Kontext, dass der Künstler die Gegenstände als eigenes Material kenntlich macht oder diese den Akteuren seiner vier Videoarbeiten zuordnet. Denn auf diese Weise weist er die Gegenstände als persönliche Objekte von direkt oder mittelbar in den libanesischen Bürgerkrieg involvierten Personen aus – sei es als jugendlicher Beobachter auf dem elterlichen Balkon (Zaatari selbst), als Mitglied des libanesischen Wiederstands oder als Inhaftierter eines israelischen Gefängnisses. Erst als persönliche Besitztümer deklariert, wandeln sich die Gegenstände zu Stellvertretern für die im fotografischen Bild absenten Personen. 1111So macht beispielsweise Peter Geimer darauf aufmerksam, dass eigentlich banale Gegenstände eine Bedeutungsaufladung erfahren, wenn diese auf ihre einstmaligen Besitzer und den originären Verwendungszusammenhang verweisen. Er argumentiert, dass derartige Gegenstände „aus der Anonymität der Dinge heraus[treten] und […] so etwas wie individuelle Stellvertreter [werden]. Sie erhalten eine Bedeutung, die man ihnen nicht eigentlich ansieht, von der man aber wissen kann. Ihre Zeugenschaft wird ihnen zugeschrieben […].“ Geimer: „Über Reste“ (wie Anm. 9), S. 110. Gewissermaßen als Substitute der einstigen Besitzer verweisen Zaataris Gegenstände folglich auf Einzelschickschale, erzählen private Geschichten neben der offiziellen Historiografie bzw. stellen intime Momente einer Form der Geschichtsschreibung gegenüber, die in der Regel keinen Platz für das Private oder Alltägliche bietet. Und erst als solcherart gekennzeichnete Bedeutungsträger transformieren die Gegenstände ungeachtet ihrer banalen Alltäglichkeit, ihres geringen materiellen Werts oder ihrer mangelnden historischen Relevanz zu Spuren des libanesischen Bürgerkriegs sowie dem daran gekoppelten Trauma, aus dem sich der Wunsch nach Vergessen genauso speist, wie das Bedürfnis des Erinnerns und Aufzeigens.

Abb. 4: Akram Zaatari: March Fourteen. Cedar Tree, 2007, C-Print, framed, 49x40cm. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.
Abb. 4:
Akram Zaatari: March Fourteen. Cedar Tree, 2007, C-Print, framed, 49x40cm. Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery.

III Die fotografische Reproduktion der Objekte als mediale Reflexion

Wie dargelegt, erfahren die in Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets zusammengetragenen Gegenstände über die beigegebenen Textfragmente sowie durch ihre Anbindung an das filmische Narrativ ausgewählter Videoarbeiten eine Sinnzuschreibung, durch welche sie zu Bedeutungsträgern avancieren. Bedeutung wird Zaataris fotografierten Gegenständen indes auch dadurch attribuiert, dass sie ihren Status als künstlerisches Artefakt auf bildimmanenter Ebene bereits durch die Art ihrer Inszenierung kenntlich machen. So lassen sowohl die satte Farbigkeit, als auch die professionelle Ausleuchtung sowie die hohe Tiefenschärfe der auf hellem Grund platzierten Objekte vermuten, dass es dem Künstler nicht nur um die bloße Wiedergabe der Gegenstände im Sinne ihrer Identifizierbarkeit geht, sondern dass er über die fotografische Wiedergabe der Objekte sowie durch den Modus ihrer Darstellung den Status der Gegenstände als Kunstwerke markiert und zugleich auf die doppelte Konservierung der Objekte verweist. Denn diese wurden von Zaatari nicht nur materialiter geborgen, sondern mittels der fotografischen Reproduktion auch im fotografischen Bild fixiert, wodurch sie selbst zum Motiv und letztlich zu Zeichenträgern werden. Auf diese Weise geraten alsdann auch Aspekte der musealen Präsentation von Dingen sowie medienspezifische Besonderheiten in den Blick.

Wenn zuvor auf Peter Geimer und seine als ‚Zeugs‘ bezeichneten Dinge rekurriert wurde, so trifft diese Argumentation zumindest in einem Punkt nicht auf Akram Zaataris Gegenstände zu. Denn wenn Geimer ausführt, dass an sich bedeutungslose Gegenstände über ihre Anbindung an die vormaligen Besitzer eine Bedeutungsaufladung erfahren, dass zahlreiche dieser Dinge allerdings „durch das begriffliche Schema Pomians hindurchfallen“ 1212Ebd. S. 116. − weil es sich bei ihnen weder um Gebrauchsgegenstände, noch um Abfall oder Semiophoren handelt − dann mag dies gewiss auf Thomas Wolseys Kardinalshut oder Thomas Manns Gehstock zutreffen. Allerdings möchte ich davon ausgehen, dass sich – obwohl sich eine Zuordnung zu der einen oder anderen Kategorie recht kompliziert gestaltet − Zaataris fotografierte Gegenstände dennoch über die Pomiansche Semantik fassen lassen. Zwar handelt es sich bei ihnen gemäß Krzysztof Pomian mitnichten um Abfall, da diese als Teil der künstlerischen Praxis und als museale Exponate zwar durchaus nutz- jedoch keineswegs bedeutungslos sind. 1313So führt Krzysztof Pomian aus: „…damit einem Gegenstand […] Wert zugeschrieben werden kann, ist es erforderlich und hinreichend, dass dieser Gegenstand nützlich ist oder aber dass er mit Bedeutung versehen ist. Gegenstände, die weder die erste noch die zweite Bedingung erfüllen, sind ohne Wert. Sie sind faktisch keine Gegenstände mehr, sondern Abfall.“ Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin 1998, S. 50. Zu Pomians Lesart siehe auch Geimer: „Über Reste“ (wie Anm. 9), besonders S. 110f. Und auch eine Zuordnung zum Bereich der Gebrauchsgegenstände bleibt unbefriedigend. Denn wenngleich es sich bei den meisten Dingen durchaus um Gebrauchsgegenstände handelt, werden diese sowohl für die Präsentation im Katalog als auch für die museale Inszenierung ihrem Alltag und ihrer ursprünglichen Funktion enthoben. Damit handelt es sich bei ihnen nicht länger um Gebrauchsgegenstände, sondern − infolge ihrer medialen Übersetzung ins fotografische Bild und aufgrund ihrer Zuschaustellung als Museumsobjekte − um künstlerische Artefakte. Indem die Gegenstände allerdings nicht materialiter ausgestellt, sondern vom Künstler fotografiert werden und auf diese Weise die Fotografie und nicht das reale Objekt zum musealen Exponat wird, handelt es sich bei Zaataris Gegenständen recht eigentlich um Ausstellungobjekte zweiter Ordnung. Und als solche fallen sie gerade nicht durch Pomians Raster, sondern können durchaus als Semiophoren bezeichnet werden. D.h. gerade in ihrer Rolle als künstlerisches Artefakt und Museumsobjekt werden Zaataris Gegenstände zu Semiophoren, deren Bedeutung sich unmittelbar aus ihrem Status als Ausstellungsstücke speist und folglich an die Logik des Zeigens und Ausstellens gebunden ist.

Demzufolge liegt der zentrale Aspekt für eine Beurteilung von Zaataris Gegenständen als Semiophoren in der fotografischen Reproduktion der realen Objekte sowie in der musealen Inszenierung der Fotografien begründet. Bedeutung erlangen die Gegenstände also letztlich als fotografische Motive. Und als Bildgegenstand thematisieren sie einerseits die sich in der fotografischen Stillstellung manifestierende Konservierung der realen Gegenstände und verweisen andererseits auf medienspezifische Eigenschaften der Fotografie. Folglich lässt sich der Konnex zwischen Ding und Mensch – auf diesen wurde bereits aufmerksam gemacht, indem argumentiert wurde, dass Zaataris fotografierte Gegenstände als Verweis auf die einstmaligen Besitzer gelesen werden können – auch mit Hilfe des Spurenparadigmas respektive vermittels der Medialität des fotografischen Bildes erklären. Mit diesem ist der indexikalische Charakter der Fotografie angesprochen, durch welchen die (analoge) Fotografie als Spur konzeptualisiert wird, und welcher die unmittelbare Verbindung mit dem Referenten beschreibt. 1414Ausgehend von Charles Sanders Peirces Zeichenmodell haben etwa Rosalind Krauss oder Roland Barthes die besondere Wirklichkeitsnähe der Fotografie mit dem Paradigma der Spur zu erklären versucht. Vgl. Rosalind Krauss: „Anmerkungen zum Index: Teil 2“, in: Dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne. Amsterdam/Dresden 2000 [amerik. 1977], S. 265–276; Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt a.M.1989 [frz. 1980]. Ebenfalls mit dem Begriff der Spur operiert Christina Pack, die in ihrer Dissertationsschrift anhand ausgewählter zeitgenössischer Positionen die fotografische Inszenierung von Alltagsgegenständen in den Blick nimmt. Vgl. Christina Pack: Dinge. Alltagsgegenstände in der Fotografie der Gegenwartskunst. Berlin 2008. In solch einem Zusammenhang verweisen Zaataris fotografierte Gegenstände mit ihren Gebrauchsspuren und Anzeichen persönlicher Interventionen unmittelbar auf die realen Objekte, die sich im Moment der Aufnahme vor Zaataris Kamera befunden haben. Zugleich verweisen sie aber auch auf die einmaligen Besitzer und ursprünglichen Verwendungszusammenhänge sowie indirekt auf den libanesischen Bürgerkrieg und dessen Auswirkungen auf die libanesische Zivilgesellschaft. In diesem Sinne wird angenommen, dass der Künstler in Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets mit Bezug auf das Theorem der Spur über dieMedialität und Materialität der von ihm fotografierten Gegenstände reflektiert. Einerseits indem er den Status der Objekte als Beweisstücke bzw. Indizien und letztlich ihre Rolle als Dokumente des Krieges befragt und andererseits indem er die durch die fotografische Reproduktion bedingten Verschiebungen thematisiert und damit auch den Status der Fotografie als gleichsam authentisches und objektives Aufzeichnungsmedium in den Blick nimmt.

IV Epilog

Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets versammelt Gegenstände, die für die Produktion einzelner Videoarbeiten konstitutiv waren. Den fotografierten Objekten sind schriftliche Arbeitsanweisungen des Künstlers sowie Interviews mit Akteuren und thematische Essays zur Seite gestellt. Daher kann die Publikation auch als Dokumentation der künstlerischen Praxis Akram Zaataris selbst gelesen werden. So bieten die Gegenstände als Mitspieler exponierter Videoarbeiten oder als Platzhalter für einzelne Akteure Einblicke in die Arbeitsweise des Künstlers bzw. in Prozesse der Werkentstehung und sind daher Teil einer Dokumentation des eigenen Tuns. 1515So lässt sich anhand der fotografierten Gegenstände etwa aufzeigen, dass Zaatari mit gefundenem Material arbeitet, durch das Found-Footage-Verfahren unterschiedliche Quellen miteinander in Beziehung setzt und letztlich zu einem filmischen Eindruck verwebt. D.h. die Gegenstände fungieren sozusagen als Surrogat der künstlerischen Praxis, vermittels derer auf den Herstellungsprozess bzw. auf handwerkliche/technische Aspekte des künstlerischen Schaffens geschlossen werden kann. Zugleich ist die Publikation mehr als ein reiner Dokumentationsband. Denn durch die fotografische Reproduktion und die Art ihrer Wiedergabe im Katalog erfahren die auf den ersten Blick belanglosen Gegenstände eine wirkmächtige Transformation, sodass sich diese von banalen Dingen zu Bedeutungsträgern wandeln, deren Semantik jeweils aus den sie rahmenden Kontexten resultiert. Auf diese Weise werden Assoziationen zu verschiedenen sozialen und wissenschaftlichen Praktiken evoziert und Zaataris fotografierte Gegenstände flottieren zwischen unterschiedlichen Lesarten – sei es als persönliches Souvenir bzw. privates Erinnerungsstück, triviales Relikt, archäologisches Artefakt oder museales Exponat.

    Fußnoten

  • 1Von einer solchen sprechen Anke te Heesen und Petra Lutz und argumentieren, dass es dieser Konjunktur zu verdanken sei, dass „das Kleine und Abseitige wieder entdeckt und die Bedeutung des Alltäglichen nobilitiert [wurde]. Scheinbar unscheinbare Gegenstände, die keinen direkt ersichtlichen materiellen Wert aufweisen, oder kuriose Dinge, die weder der Kunst noch eindeutigen Funktionszusammenhängen zugeschlagen werden können“ geraten auf diese Weise in den Blick. Anke te Heesen, Petra Lutz: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort. Köln u.a. 2005, S. 11−23, hier S. 15.
  • 2Karl Bassil, Akram Zaatari (Hg.): Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets [Postscript Portikus, Frankfurt am Main 2004; Ausst.-Kat. Kunstverein, München; Sfeir-Semler Gallery und Beirut Art Center, Beirut 2009]. Frankfurt a.M. [u.a.] 2009.
  • 3Bei den Essays handelt es sich um Texte von Hannah Feldman, Laura U. Marks, Rasha Salti und Kaelen Wilson-Goldie, die jeweils einer der vier thematisierten Videoarbeiten − All Is Well on the Border (1997), This Day (2003), In This House (2005) und Nature Morte (2007) − gewidmet sind. Zudem finden sich Interviews, die der Künstler mit verschiedenen Akteuren seiner Videoarbeiten geführt hat.
  • 4Knut Ebeling: „Die Mumie kehrt zurück II. Zur Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Kunst und Medien“, in: Ders., Stefan Altekamp (Hg.): Die Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Medien und Künsten. Frankfurt a.M. 2004, S. 9–30, hier S. 13. Zaataris Praxis lässt überdies auch an die Analyse des Materiellen bzw. an die Untersuchung der materiellen Kultur denken, wie sie etwa von Michel Foucault in der Archäologie des Wissens eingefordert wird. Vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens [frz. 1969], Frankfurt a.M. 2000.
  • 5Werden die gut ausgeleuchteten Gegenstände in der Regel als singuläre Objekte mittig platziert und meist nur in einer Ansicht wiedergegeben, werden einige Gegenstände auch als Abfolge aus unterschiedlichen Perspektiven sowie auf mehreren Seiten gezeigt. Überdies existieren einige wenige Seiten mit Objektensembles, bei denen mehrere Gegenstände in gleichmäßigen Reihen angeordnet und so zu einer Ordnung gruppiert werden.
  • 6Akram Zaatari: „Preface”, in: Bassil, Ders.: Akram Zaatari (wie Anm. 2), S. 5.
  • 7Zum paläologischen Begriff des Fossils siehe Hannah Feldman und Akram Zaatari: „Mining War. Fragments from a Conversation Already Passed”, in: Art Journal, Vol 6 (Summer 2007), S. 48–67 oder Stuart Comer: „Interview mit Akram Zaatari”, in: Juan Vicente Aliaga (Hg.): Akram Zaatari. El molesto asunto / The Uneasy Subject. [Ausst.-Kat. MUSAC León 2011; MUAC Mexico DF 2012]. Mailand 2011, S. 111−133. Zum Term ‚excavation‘ bzw. Ausgrabung vgl. Akram Zaatari: „Photographic Documents / Excavation as Art“, in: Charles Merewether (Hg.): The Archive. London 2006, S. 181–184. Auch den Begriff „fieldwork“ − im Sinne der ethnografischen Methode der Feldforschung − verwendet Zaatari selbst, um seine Praxis zu beschreiben. So etwa: “My artistic position lies in […] uncovering images, classifying and presenting them as the findings of fieldwork.” Zaatari in: Merewether 2006, S. 182. An dieser Stelle kann nur verweisartig darauf verwiesen werden, dass der Künstler zahlreiche seiner Arbeiten die sich mit dem Archiv des Fotografen Hashem el Madani beschäftigen unter dem Titel Objects of Study subsumiert und dass auch in dieser Betitelung der Objekte als Untersuchungsgegenstände sowie im Umgang mit Materialien aus dem Archiv des Studio Sherazade (so der Titel von Madanis Fotostudio) wiederum das Moment des Archäologischen angelegt ist.
  • 8Zum Paradigma der Spurensicherung sowie zur gleichnamigen Kunstströmung siehe etwa Günter Metken: Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung. Fiktive Wissenschaft in der heutigen Kunst. Köln 1977; ders.: Spurensicherung. Eine Revision. Texte 1977–1995. Amsterdam [u.a.] 1996; Cornelius Holtorf: „Archäologie als Spurensicherung“, in: Ebeling, Altekamp: Die Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Medien und Künsten (wie Anm. 4), S. 306–324; zum Spiel mit der archäologischen Methode vgl. besonders S. 313−316.
  • 9Als „Zeugs“ bezeichnet Peter Geimer Dinge, die an sich belanglos sind und die ihre Wertigkeit über das Symbolische empfangen. Vgl. Peter Geimer: „Über Reste“, in: te Heesen, Lutz: Dingwelten (wie Anm. 1), S. 109−118, hier S. 114.Nach Geimer stellt sich die Frage nach dem Wesen der Dinge „insbesondere dann, wenn das ausgestellte Objekt keinen eigentlichen Materialwert besitzt, wenn es nicht als Kunstwerk gilt, keine kulturhistorische Bedeutung hat, sondern seinen Gehalt einzig einer symbolischen und unsichtbaren Beziehung verdankt.“ Ebd. S. 109.
  • 10Bei diesen handelt es sich um All Is Well on the Border (1997), This Day (2003), In This House (2005) und Nature Morte (2007). Ohne die einzelnen Videoarbeiten hier en détail und in ihrer je eigenen thematischen und ästhetischen Spezifik diskutieren zu können, kann konstatiert werden, dass diese bei der Publikation Akram Zaatari. Earth of Endless Secrets als rahmende Klammer fungieren, um direkt oder implizit die Auswirkungen des libanesischen Bürgerkriegs zu befragen.
  • 11So macht beispielsweise Peter Geimer darauf aufmerksam, dass eigentlich banale Gegenstände eine Bedeutungsaufladung erfahren, wenn diese auf ihre einstmaligen Besitzer und den originären Verwendungszusammenhang verweisen. Er argumentiert, dass derartige Gegenstände „aus der Anonymität der Dinge heraus[treten] und […] so etwas wie individuelle Stellvertreter [werden]. Sie erhalten eine Bedeutung, die man ihnen nicht eigentlich ansieht, von der man aber wissen kann. Ihre Zeugenschaft wird ihnen zugeschrieben […].“ Geimer: „Über Reste“ (wie Anm. 9), S. 110.
  • 12Ebd. S. 116.
  • 13So führt Krzysztof Pomian aus: „…damit einem Gegenstand […] Wert zugeschrieben werden kann, ist es erforderlich und hinreichend, dass dieser Gegenstand nützlich ist oder aber dass er mit Bedeutung versehen ist. Gegenstände, die weder die erste noch die zweite Bedingung erfüllen, sind ohne Wert. Sie sind faktisch keine Gegenstände mehr, sondern Abfall.“ Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin 1998, S. 50. Zu Pomians Lesart siehe auch Geimer: „Über Reste“ (wie Anm. 9), besonders S. 110f.
  • 14Ausgehend von Charles Sanders Peirces Zeichenmodell haben etwa Rosalind Krauss oder Roland Barthes die besondere Wirklichkeitsnähe der Fotografie mit dem Paradigma der Spur zu erklären versucht. Vgl. Rosalind Krauss: „Anmerkungen zum Index: Teil 2“, in: Dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne. Amsterdam/Dresden 2000 [amerik. 1977], S. 265–276; Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt a.M.1989 [frz. 1980]. Ebenfalls mit dem Begriff der Spur operiert Christina Pack, die in ihrer Dissertationsschrift anhand ausgewählter zeitgenössischer Positionen die fotografische Inszenierung von Alltagsgegenständen in den Blick nimmt. Vgl. Christina Pack: Dinge. Alltagsgegenstände in der Fotografie der Gegenwartskunst. Berlin 2008.
  • 15So lässt sich anhand der fotografierten Gegenstände etwa aufzeigen, dass Zaatari mit gefundenem Material arbeitet, durch das Found-Footage-Verfahren unterschiedliche Quellen miteinander in Beziehung setzt und letztlich zu einem filmischen Eindruck verwebt. D.h. die Gegenstände fungieren sozusagen als Surrogat der künstlerischen Praxis, vermittels derer auf den Herstellungsprozess bzw. auf handwerkliche/technische Aspekte des künstlerischen Schaffens geschlossen werden kann.
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