Kastanienallee 8

Ausgabe #4
November 2015
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Die Berliner Künstlerin Katharina Lüdicke ergründet mit ihren Eingriffen in den Stadtraum die (utopischen) Potenziale provisorischer Architektur. Im Sommer 2015 fand ihre Aktion „Kastanienallee 8“ statt. Lüdicke hat uns nicht nur das Video zur Aktion bereitgestellt, sondern auch umfassend auf unsere Fragen geantwortet.

Interview mit Katharina Lüdicke

Dein künstlerischer Beitrag für die Onlinepublikation in Form eines kurzen Videos zeigt dich, wie du in der Kastanienallee in Berlin mit einer Kettensäge eine Tür und zwei Fenster in eine plakatierte Holzwand sägst, mit einem Schloss versiehst und die Schlüssel stecken lässt. Wieso hast du diesen Ort ausgewählt? Wie kam es zu der Idee?

Der Ort in der Kastanienallee war mir vertraut durch alltägliche Wege. Als er sich eines Tages als eine absichtlich zugebaute Nische zeigte, kam mir schlagartig die Idee, diesen Raum wieder zu öffnen. Er war zu dieser Zeit als Aufenthalts- und Schlafplatz von zwei obdachlosen Menschen genutzt worden und sollte offensichtlich nicht weiter zur Verfügung stehen.

Was war das Ziel deiner Aktion?

Es ging mir in erster Linie um den nicht mehr zugänglichen Raum. Er war vorher offen und dann – wie durch einen Gewaltakt – dem Öffentlichen entzogen. Durch diesen einfachen Unterschlupf habe ich auch einen Kontrast zum unmittelbaren Umfeld erzeugt, zum Beispiel wird gerade gegenüber ein weiterer – im Sinne von weniger zugänglich – exklusiver „Hof“ mit Eigentumswohnungen und Gewerbeflächen gebaut. Der öffentliche Raum wird nach meinem Empfinden dadurch weiter beschnitten. Die meisten Neugestaltungen geben zudem immer mehr vor, was wir tun und lassen sollen. Wie die Plakatwand, die den Aufenthalt von Wohnungslosen an diesem Platz definitiv verwehrt. Freiraum in der Stadt gibt es nahezu nicht mehr. Mit meiner Einnistung in der vorhandenen Struktur kommentiere ich diese Situation. So reagiere ich auf den veränderten öffentlichen Raum.

Durch die Aktion habe ich ein weiteres Mal erfahren, dass es nach wie vor möglich ist, autonome Dinge im Stadtraum zu tun. Und überrascht habe ich festgestellt, dass diese grell bunte Plakatwand den Menschen generell überhaupt nicht auffällt. Mir war sie als schreiende Ungerechtigkeit sofort ins Auge gestochen. Von daher fand ich den Platz als Nische im Nachhinein noch besser.

Ich selbst wollte durch die Installation erfahren, ob sich jemand diesem geöffneten Raum erneut annehmen würde, etwa durch Bleiben über Nacht oder zum Aufbewahren von Dingen. [Anm. d. Redaktion: Bereits am nächsten Tag wurde von dem betroffenen Theater neue Plakate über die Installation geklebt, so dass diese nicht mehr zugänglich war.]

Wie bist du zur Beschäftigung mit dem Provisorischen – konkret zur provisorischen Architektur – gekommen?

Am Anfang meiner provisorischen Architektur stand eine Hütte. Die habe ich in einer Gartenkolonie in Weißensee gefunden und vor dem Abriss „gerettet“. Um das Material mit dem und die Zeit in der die Hütte entstanden ist aufzuzeigen, habe ich die Innenwände nach außen gekehrt. Unter anderem sind eine verbaute Tischplatte und eine Leihverpackung zum Vorschein gekommen.

Was inspiriert dich?

Die Gegebenheiten des Ortes und des Materials bestimmen meine Arbeiten. Platz für Unvorhergesehenes habe ich daher immer. Das widerborstige Material, was sich auffinden ließ, die vergessene Zange, die Lücke in der zuvor angefertigten Skizze. Durch das Mittel des Provisorischen finde ich die genau passende Lösung.

Du hast deine Abschlussarbeit des Bildhauerei-Studiums zum Thema „Die provisorische Architektur als Zukunftsmodell“ geschrieben. Worin siehst du die (utopischen) Potenziale provisorischer Architektur und wie hast du dich in deiner Arbeit dieser Fragestellung genähert?

Provisorien sind Äußerungen zu Bedürfnissen und bestehenden Notwendigkeiten, sie sind einfach und jeder kann’s. Laurids Ortner, Mitbegründer der Architektengruppe Haus-Rucker-Co fordert in seinem Aufsatz „Provisorische Architektur“ 11Laurids Ortner: „Provisorische Architektur“ in: Kunstforum International, Bd.19 „Fragment und Ruine“, Heft 1/1977, Ruppichteroth: Kunstforum. die gegebenen Strukturen der Stadt durch die Bewohner gestalten zu lassen und daraus endlich einmal städtebauliche Entschlüsse abzuleiten. […] Ich entwickelte die These über das, was Künstler umgesetzt haben weiter: Provisorien machen oft auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam, geben Denkanstöße, beispielsweise Wodziczkos „Homeless Vehicle“ von 1994. Unter diesem Blickwinkel suchte ich schließlich nach Beispielen, welche Architektur und Planer in dieser Konsequenz erarbeitet haben, etwa [das] „Bauhäusle“ in Stuttgart. […] Von 1981-1983 haben Studenten mit den Architekten Peter Hübner und Peter Salzer ihre eigenen benötigten Unterkünfte gebaut. Die Formen sind sehr verschieden, die Materialien einfach und nebenbei haben alle viel gelernt. Das Utopische daran ist, dass es das bis heute nicht oft gibt […]. Außerdem bedeutet die vorübergehende Architektur auch, dass sie auf ein handhabbares Körpermaß beschränkt und für Veränderungen offen bleibt.

Wo entsteht für dich in deinem künstlerischen Prozess Wissen?

Für mich entsteht Wissen über einen Ort, da ich ihn erlebe und zumeist vorher oder hinterher über ihn recherchiere. Es kommen auch Leute im Entstehungsprozess zu mir und erzählen mir Geschichten. Manchmal gibt es auch Ärger und auch da lerne ich sehr viel dazu. Wenn eine Installation funktioniert, liegt eine Erkenntnis darin, aber nicht so sehr auf der Hand. Es können die Anderen sein, zufällige Passanten, Betrachter, die ihre Sichtweisen äußern und dabei helfen, das Eigentliche herauszufinden. Denn ich mache die Sachen nicht, um Wissen weiter zu geben, sondern um selbst jedes mal etwas Neues zu erfahren.

 

(Konzeption der Interview-Fragen durch Svenja Rokitta, Auswahl der Fragen und Antworten für diesen Beitrag durch Judith Wilking.)

    Fußnoten

  • 1Laurids Ortner: „Provisorische Architektur“ in: Kunstforum International, Bd.19 „Fragment und Ruine“, Heft 1/1977, Ruppichteroth: Kunstforum.
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