Medienreflexion im Kippmoment: Axonometrisches Modell für Peter Eisenmans House X

Ausgabe #3
November 2014
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Inwiefern vermag ein Modell unsere Wahrnehmung so zu irritieren, dass wir sowohl das entsprechende Objekt als auch unsere eigene Wahrnehmung zu überdenken beginnen? Anhand von Modellen aus der architektonischen und kinematografischen Praxis wagen die beiden Autorinnen Stefanie Bräuer und Sarine Waltenspül ein Schreibexperiment: Ausgehend von gemeinsamen Thesen befragen sie die Modelle nach ihrer aktiven Rolle in Produktions- und Reflexionsprozessen. Sie leiten ihre Texte mit einer gemeinsam formulierten Fragestellung ein und gleichen ihre jeweiligen Befunde in einem zusammen verfassten Schlussteil ab.

Gemeinsame Einleitung

Mit einer hilflosen, am Strand zertretenen Krabbe verglich Richard Pommer ein Architekturmodell Peter Eisenmans. 11Richard Pommer: „Postscript to a Post-Mortem”, in: Kenneth Frampton und Silvia Kolbowski: Idea as Model. 22 Architects 1976/1980, Ausst.-Kat., New York 1981, S. 10–15, hier S. 10. Keineswegs abwertend sondern beschreibend und mit Blick auf eine Kontextualisierung in die Nachkriegsarchitektur fasste er damit in Worte, was das axonometrische Modell ausmacht: Es verkriecht sich in die Fläche, die der axonometrischen bzw. parallelen Projektion vorbehalten ist. Zugleich ist es ein Objekt, nimmt sich als solches jedoch selbst zurück und tendiert zum Relief. Dass in dieser Bescheidenheit ein bemerkenswertes Reflexionspotenzial steckt, soll im Folgenden ausgeführt werden. Ebenso zeigen sich die Modelle im Film Giant God Warrior Appears in Tokyo (J 2013, Higuchi Shinji) als zwischen bescheidener Unauffälligkeit und offensichtlicher Modellhaftigkeit changierend. Die daraus resultierende Irritation, die auch in anderen Filmen auszumachen ist, soll genauer betrachtet werden.

Im Fokus der folgenden Ausführungen stehen Modelle aus der architektonischen und aus der kinematografischen Praxis. Die Untersuchung wird jeweils geleitet von gemeinsamen Thesen: Zentral ist die Annahme, dass den Modellen sowohl in Produktion als auch Rezeption ein gewisses Reflexionsvermögen zukommt. Damit ist eine Aussagekraft seitens der Modelle gemeint, eine aktive Positionierung im Entwurfs- beziehungsweise Wahrnehmungsprozess. Diese äußert sich im Falle der Produktion in einer gleichzeitigen Öffnung und Schließung des Entwurfsprozesses: Modelle unterstützen suchendes und gestaltendes Handeln, binden dieses Handeln aber auch zugleich durch die Festlegung an einem konkreten und damit widerständigen Objekt. 22Reinhard Wendler wies auf diese Ambivalenz in seiner umfassenden Studie zum Modell hin: Reinhard Wendler: Das Modell zwischen Kunst und Wissenschaft, München 2013, S. 43. Horst Bredekamp spricht in Zusammenhang mit Architekturmodellen von einer Ermutigung und gleichzeitigen Fesselung der Denkpotenziale: Horst Bredekamp: „Modelle der Kunst und der Evolution“, in: Sonja Ginnow (Red.): Modelle des Denkens. Streitgespräch in der wissenschaftlichen Sitzung der Versammlung der Berlin-Brandenburgischen Wissenschaften am 12. Dezember 2013, Berlin 2005, S. 13–20, hier S. 16. Im Falle der Rezeption bedeutet das die Entsicherung der Wahrnehmung durch Unschärfen, die seitens der Modelle – seien es Entwurfs- oder Präsentationsmodelle – eingeführt wurden. Die den Modellen eigene Maßstabsverschiebung verliert im Filmischen in der Regel ihre sonstige Handhab- und Vorstellbarkeit. Dimensionen können unwägbar werden, modellbedingte Effekte werden im Spiel mit dieser Unwägbarkeit verschleiert, in einigen und sehr interessanten Fällen aber auch offen gelegt.

Die für die beiden Texte gewählte Form bedeutet für uns ein Schreibexperiment. Wir haben uns auf Thesen geeinigt, die wir anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Modellpraxen untersuchen. In einem gemeinsam verfassten Schlussteil werden wir die Darlegungen prüfend zusammenführen.

Axonometrisches Modell für Peter Eisenmans House X

Abb. 1: Peter Eisenman: Axonometrischer Riss für House X, 1975, geplant für ein Grundstück in Bloomfield Hills, Michigan (USA), in Auftrag gegeben von den Eheleuten Aronoff, Projekt nicht realisiert. In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 159.
Abb. 1: Peter Eisenman: Axonometrischer Riss für House X, 1975, geplant für ein Grundstück in Bloomfield Hills, Michigan (USA), in Auftrag gegeben von den Eheleuten Aronoff, Projekt nicht realisiert.
In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 159.

Komplexität ist das bestimmende Merkmal beim Projekt House X des US-amerikanischen Architekten Peter Eisenman (*1932) aus dem Jahr 1975. Die durch die auskragenden und damit astatischen Gebäudeteile hervorgerufene, zerklüftete Struktur auf asymmetrischem Grundriss wird lediglich durch die Einbettung in das ansteigende Gelände sowie durch die Orthogonalität des Gesamtentwurfs gebündelt. Das axonometrische Modell (Abb. 2–4) ist 1978 als abschließende Formulierung dieses Projektes entstanden, das dem Architekten seitens der Auftraggeber entzogen wurde. 33Hierzu Eisenman: „The client had dug a hole waiting for September [1976, Anm. SB] to begin the project. I spent the whole summer in Italy and I didn’t pay attention to the working drawings. I came back and the working drawings were not done, and the client was furious; he fired me and refused to pay my bills.“ In: Peter Eisenman, Interview von Iman Ansari: „Interview: Peter Eisenman“, in: Architectural Review, 26. April 2013, <http://www.architectural-review.com/view/interviews/interview-peter-eisenman/8646893.article> zuletzt aufgerufen am 10. August 2014. Es wurde aus einer früheren axonometrischen Zeichnung entwickelt (Abb. 1). Der Status dieses Modells im Entwurfsprozess lässt sich als hybrid beschreiben: Das Objekt ist Endpunkt eines nicht realisierten Villenprojekts und damit, um Eisenman zu paraphrasieren, dessen einzige Realität. 44„The final artifact in the process of making House X is the axonometric model. […] It can thus be seen as the ultimate reality of the work […].“ In: Peter Eisenman: „Transformations, Decompositions and Critiques: House X”, in: Ders.: House X, New York 1982, S. 33–160, hier S. 158. Zugleich markiert das Modell eine Schwelle im Schaffen Eisenmans. Im Gegensatz zu vorangegangenen Projekten erreicht die Komplexität von House X einen Grad, der eine Entschlüsselung hin zu den anfänglichen Entwurfsparametern verunmöglicht, weswegen das Stichwort „De-Komposition“ als Gegenbegriff zu „Komposition“ in Anschlag gebracht wird. 55Gandelsonas überträgt, was zu dieser Zeit nicht untypisch war, linguistische Termini auf die Architekturanalyse. Die Wahl des Begriffs „De-Komposition“ zur Beschreibung von Eisenmans Strategie traf der Autor in Anlehnung an denjenigen der Dekonstruktion. In: Mario Gandelsonas: „From Structure to Subject: The Formation of An Architectural Language”, in: Eisenman 1982 (wie Anm. 6), S. 24. Die darauffolgenden Projekte für den Platz San Giobbe in Cannaregio in Venedig von 1978 und House El Even Odd von 1980 treiben ausgehend von House X das komplexe Spiel zwischen Modell und Referenzobjekt weiter. 66Eisenman führte hierzu folgendes aus: „The axonometric model investigates the nature of the model, the nature of scale, and the relationship of these factors to the individual […] There are three variations on this idea: House X, the project for Cannaregio, and House El Even Odd.“ In: Peter Eisenman, David Shapiro und Lindsay Stamm: A Poetics of the Model: Eisenman’s Doubt”, in: Frampton, Kolbowski 1981 (wie Anm. 1), S. 123. Einen Überblick über Eisenmans Projekte, unter anderem mit einem Abschnitt zur Platzgestaltung in Cannaregio, bietet folgender Band: Pippo Ciorra: Peter Eisenman. Bauten und Projekte, Stuttgart 1995. Insofern lässt sich das Modell für House X, das im Entwurf keine dienende Funktion inne hatte, weniger als konventionelles Arbeitsmodell, sondern vielmehr als konzeptuell aufgeladenes Ideenmodell bezeichnen. Damit in Einklang hieß die von Eisenman initiierte und 1976 am Institute for Architecture and Urban Studies realisierte Ausstellung Idea as Model. 77Der Katalog erschien fünf Jahre später. Hier ist auch das nach der Ausstellung entstandene Modell von House X publiziert. Vgl. Anm. 1. Das Interesse der Schau lag explizit nicht darin, Modelle als an Auftraggeber gerichtete Kommunikationsmittel, sondern vielmehr als ein Gegenüber zu thematisieren, das den Entwurfsprozess befeuert. Damit zelebrierte Idea as Model das Architekturmodell als eine Möglichkeit des Durchdenkens von Architektur. 88Martin Hartung geht in seinem Essay zu Modellen in Kunst und Architektur unter anderem auf die Ausstellung Idea as Model ein und beleuchtet neben deren Entstehungskontext auch kritische Reaktionen, allen voran diejenige von Gordon Matta Clark, der eine aktionistische und partizipative Dimension vermisste. Martin Hartung: Modellfunktionen. Maßstäbe Der Wirklichkeit”, in: Eva Schmidt (Hg.): Was Modelle können. Eine kleine Geschichte des Architekturmodells in der zeitgenössischen Kunst, Ausst.-Kat., Köln 2014, S. 23–73, hier. S. 46.

Abb. 2: Peter Eisenman: Axonometrisches Modell für House X, 1978, Modellbauer: Sam Anderson. In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 163.
Abb. 2: Peter Eisenman: Axonometrisches Modell für House X, 1978, Modellbauer: Sam Anderson.
In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 163.

Peter Eisenmans axonometrisches Modell, das ihm zufolge als Idee an sich figurierte, 99„[…] the model as an idea in itself“ (Eisenman, Shapiro, Stamm 1981, (wie Anm. 8), S. 121-122). Selbst bei diesem prominenten Modell ist der Modellbauer nur am Rande im Impressum erwähnt: Sam Anderson zeichnete sich für dessen Fertigung verantwortlich (Eisenman 1982 (wie Anm. 6), S. 2). kommt diesem Anspruch in einem Kippmoment im Zuge der Wahrnehmung am nächsten. Tatsächlich ist beim dreidimensionalen Modell die entscheidende Ansicht, die von der flächigen Zeichnung abgeleitet ist, nur von einem Blickpunkt aus und mit abgedecktem zweitem Auge zu sehen (Abb. 1–2). Dieser Sonderfall in der Wahrnehmung des Modells muss also durch das Suchen des korrekten Standpunktes und durch monokulares Sehen erst herbeigeführt werden, was in der Literatur Referenzen auf das Trompe-l’œil der Anamorphose provozierte. 1010So findet die Augentäuschung von einem Blickpunkt Erwähnung bei Gandelsonas 1982 (wie Anm. 7), S. 28 und Christopher Hight: „Manners of Working: Fabricating Representation in Digital Based Design”, in: C. Greig Crysler, Stephen Cairns, Hilde Heynen (Hg.): The SAGE Handbook of Architectural Theory, London 2012, S. 410–429, hier S. 417. Wahrscheinlicher als der richtige Blickpunkt sind Ansichten des Modells wie die auf Abbildungen 3 und 4: Das verzerrte Gebilde drängt sich an die Bodenplatte, einem scheinbaren Kontrollverlust ausgesetzt. Die spitzen Winkel der davon fliehenden Gebäudeecken spotten der Rechtwinkligkeit der Axonometrie, die auch Parallelprojektion oder Parallelriss genannt wird. Dass das Modell den einäugigen Blick der Fotokamera am richtigen Ort einfordert, steht in zynisch-lustvollem Widerspruch zum eigentlichen Merkmal der Axonometrie, vom Betrachterstandpunkt unabhängig zu sein. Anders als bei der Linearperspektive, deren Geschichte die Parallelprojektion stets begleitete, 1111Vgl. den Überblick bei Massimo Scolari: Oblique Drawing. A History of Anti-Perspective, Cambridge 2012. flüchten die Raumkanten nicht in einem Punkt, sondern bleiben auch in der Darstellung parallel. 1212„Die Tiefe wird nicht verneint, sondern auf geometrische Weise ,verunendlicht’: das Auge ist nicht mehr an einen bestimmten Platz gebunden.“ Yve-Alain Bois: Metamorphosen der Axonometrie”, in: Daidalos, Bd. 1, Nr. 1, 15. September 1981, S. 40–58, hier S. 46. Daher rührt auch Bois’ Charakterisierung der Axonometrie als Mittel zur intellektuellen Auffassung eines Gegenstandes, der „mit geistigem Auge beschaut“ wird (Ebd., S. 40). Dieses Projektionsverfahren ist eng mit der klassischen Moderne und den Avantgarden in Architektur und Raumgestaltung verbunden. Änderungen der Wettbewerbs- und Unterrichtspraxis in der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts in Verbund mit einer Rhetorik der Innovation führten zur Propagierung der Axonometrie als eine der Neuen Gestaltung angemessene Darstellungstechnik. 1313Diese Änderungen betrafen das zunehmende Verbot von Farbigkeit bei Ausschreibungen und der seltenere Bedarf nach zentralperspektivischen Ansichten, wohl auch, um eine höhere Anonymität der Wettbewerbsbeiträge zu erreichen. Der Zeichenunterricht an den Bauakademien und Technischen Hochschulen blieb noch lange den Prinzipien von Autorschaft des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet, was verbunden war mit einer Vorstellung von der Zeichnung als reinstem Ausdruck einer Idee. Doch auch im Zusammenhang der Lehre verlor die Architekturzeichnung zusehends an Eigenwert. Vgl. hierzu: Winfried Nerdinger: Die Architekturzeichnung. Vom barocken Idealplan zur Axonometrie. Zeichnungen aus der Architektursammlung der Technischen Universität München, 2. Aufl., München 1986, S. 16. Als besonders reizvoll muss die Verbindung aus Messbarkeit und Uneindeutigkeit empfunden worden sein. Während die Körperkanten in der Parallelprojektion keine Verkürzung erfahren und daher leicht messbar bleiben, gibt die verminderte Wahrnehmungsnähe Raum für Uneindeutigkeiten und visuelle Vexierspiele.

Abb. 3: Peter Eisenman: Axonometrisches Modell für House X, 1978, Modellbauer: Sam Anderson. In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 165.
Abb. 3: Peter Eisenman: Axonometrisches Modell für House X, 1978, Modellbauer: Sam Anderson.
In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 165.

Abschließend soll ein Aspekt der Parallelprojektion herangezogen werden, der sie in die Nähe des materiellen Modells rückt. Während die Linearperspektive die Positionierung eines Objekts im Raum vornimmt, verhandelt die Axonometrie die Räumlichkeit eines Objekts. 1414Scolari 2012 (wie Anm. 13), S. 1. Womöglich führt dieser enge Gegenstandsbezug zu der von Massimo Scolari diagnostizierten gegenseitigen Beeinflussung von Modellpraxis und axonometrischer Zeichenpraxis. Wiederholt wurden Modelle in Parallelriss auf Papier übertragen und Festungsmodelle erinnerten nicht selten an Parallelprojektionen. 1515Ebd. S. 146 und weiter unten auf S. 151 punktgenau formuliert: „Oblique drawing and the model were in this sense equals.“

Abb. 4: Peter Eisenman: Axonometrisches Modell für House X, 1978, Modellbauer: Sam Anderson. In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 165.
Abb. 4: Peter Eisenman: Axonometrisches Modell für House X, 1978, Modellbauer: Sam Anderson.
In: Peter Eisenman: House X, New York 1982, S. 165.

Doch das In-Eins-Setzen dieser zwei so eng verwandten Darstellungsverfahren der Architektur – Axonometrie und Modell – führt zur Implosion: Peter Eisenmans Modell für House X kollabiert bei der Überführung von Zeichnung zu Objekt unter dem Druck der plötzlichen Dreidimensionalität und der unendlich großen Anzahl möglicher Blickrichtungen. Die eigentliche Unabhängigkeit vom Betrachterstandpunkt bei der Axonometrie gebricht zum monokularen, ortsgebundenen Sehen beim axonometrischen Modell.

Gemeinsame Konklusion

Die eingangs geäußerte These, dass den Modellen ein potenzielles Reflexionsvermögen sowohl im Entwurfs- als auch im Wahrnehmungsprozess zukommt, erfuhr im Zuge der Ausarbeitung anhand konkreter Beispiele eine Ausdifferenzierung. Peter Eisenmans Modell für House X reflektiert den Entwurfsprozess durch die Gleichzeitigkeit von öffnender und schließender Rolle. Im Gesamtwerk markiert es einen Wendepunkt und bereitet weitere Arbeiten vor, zugleich ist es aber auch Endpunkt eines schlussendlich nicht ausgeführten Projektes. So verbindet dieses Objekt die beiden Enden des Entwurfsprozesses. Gleichwohl handelt dieses verwirrende und daher als klares Kommunikationsmittel unbrauchbare Gebilde durch die unsinnige Verschränkung zweier Präsentationsverfahren – Modellieren und Projizieren – von verschiedenen Darstellungsweisen der Architektur: Es ist ein Meta-Modell. Auch die analysierten kinematografischen Modelle reflektieren ihr eigenes Modell-Sein, dies jedoch in anderer Weise: Sowohl in Hævnens Nat, in Giant God Warrior Appears in Tokyo als auch in Edward Scissorhands sind es die angedeuteten Offenlegungen von Materialität und Maßstäblichkeit der gefilmten Modelle, die die Wahrnehmung irritieren und im Laufe des Rezeptionsprozesses Modellhaftigkeit als solche thematisieren.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass trotz der Verschiedenheit der gewählten Beispiele gemeinsame, wesentliche Strategien von Modellreflexion festgestellt werden können. So scheint ein Kippmoment in der Wahrnehmung konstitutiv zu sein, vermittelt durch den fixierten Blick, sowohl beim monokularen Sehen als auch bei der Filmkamera. Das Modell zeigt sich im Vexierspiel.

    Fußnoten

  • 1Richard Pommer: „Postscript to a Post-Mortem”, in: Kenneth Frampton und Silvia Kolbowski: Idea as Model. 22 Architects 1976/1980, Ausst.-Kat., New York 1981, S. 10–15, hier S. 10.
  • 2Reinhard Wendler wies auf diese Ambivalenz in seiner umfassenden Studie zum Modell hin: Reinhard Wendler: Das Modell zwischen Kunst und Wissenschaft, München 2013, S. 43. Horst Bredekamp spricht in Zusammenhang mit Architekturmodellen von einer Ermutigung und gleichzeitigen Fesselung der Denkpotenziale: Horst Bredekamp: „Modelle der Kunst und der Evolution“, in: Sonja Ginnow (Red.): Modelle des Denkens. Streitgespräch in der wissenschaftlichen Sitzung der Versammlung der Berlin-Brandenburgischen Wissenschaften am 12. Dezember 2013, Berlin 2005, S. 13–20, hier S. 16.
  • 3Hierzu Eisenman: „The client had dug a hole waiting for September [1976, Anm. SB] to begin the project. I spent the whole summer in Italy and I didn’t pay attention to the working drawings. I came back and the working drawings were not done, and the client was furious; he fired me and refused to pay my bills.“ In: Peter Eisenman, Interview von Iman Ansari: „Interview: Peter Eisenman“, in: Architectural Review, 26. April 2013, <http://www.architectural-review.com/view/interviews/interview-peter-eisenman/8646893.article> zuletzt aufgerufen am 10. August 2014.
  • 4„The final artifact in the process of making House X is the axonometric model. […] It can thus be seen as the ultimate reality of the work […].“ In: Peter Eisenman: „Transformations, Decompositions and Critiques: House X”, in: Ders.: House X, New York 1982, S. 33–160, hier S. 158.
  • 5Gandelsonas überträgt, was zu dieser Zeit nicht untypisch war, linguistische Termini auf die Architekturanalyse. Die Wahl des Begriffs „De-Komposition“ zur Beschreibung von Eisenmans Strategie traf der Autor in Anlehnung an denjenigen der Dekonstruktion. In: Mario Gandelsonas: „From Structure to Subject: The Formation of An Architectural Language”, in: Eisenman 1982 (wie Anm. 6), S. 24.
  • 6Eisenman führte hierzu folgendes aus: „The axonometric model investigates the nature of the model, the nature of scale, and the relationship of these factors to the individual […] There are three variations on this idea: House X, the project for Cannaregio, and House El Even Odd.“ In: Peter Eisenman, David Shapiro und Lindsay Stamm: A Poetics of the Model: Eisenman’s Doubt”, in: Frampton, Kolbowski 1981 (wie Anm. 1), S. 123. Einen Überblick über Eisenmans Projekte, unter anderem mit einem Abschnitt zur Platzgestaltung in Cannaregio, bietet folgender Band: Pippo Ciorra: Peter Eisenman. Bauten und Projekte, Stuttgart 1995.
  • 7Der Katalog erschien fünf Jahre später. Hier ist auch das nach der Ausstellung entstandene Modell von House X publiziert. Vgl. Anm. 1.
  • 8Martin Hartung geht in seinem Essay zu Modellen in Kunst und Architektur unter anderem auf die Ausstellung Idea as Model ein und beleuchtet neben deren Entstehungskontext auch kritische Reaktionen, allen voran diejenige von Gordon Matta Clark, der eine aktionistische und partizipative Dimension vermisste. Martin Hartung: Modellfunktionen. Maßstäbe Der Wirklichkeit”, in: Eva Schmidt (Hg.): Was Modelle können. Eine kleine Geschichte des Architekturmodells in der zeitgenössischen Kunst, Ausst.-Kat., Köln 2014, S. 23–73, hier. S. 46.
  • 9„[…] the model as an idea in itself“ (Eisenman, Shapiro, Stamm 1981, (wie Anm. 8), S. 121-122). Selbst bei diesem prominenten Modell ist der Modellbauer nur am Rande im Impressum erwähnt: Sam Anderson zeichnete sich für dessen Fertigung verantwortlich (Eisenman 1982 (wie Anm. 6), S. 2).
  • 10So findet die Augentäuschung von einem Blickpunkt Erwähnung bei Gandelsonas 1982 (wie Anm. 7), S. 28 und Christopher Hight: „Manners of Working: Fabricating Representation in Digital Based Design”, in: C. Greig Crysler, Stephen Cairns, Hilde Heynen (Hg.): The SAGE Handbook of Architectural Theory, London 2012, S. 410–429, hier S. 417.
  • 11Vgl. den Überblick bei Massimo Scolari: Oblique Drawing. A History of Anti-Perspective, Cambridge 2012.
  • 12„Die Tiefe wird nicht verneint, sondern auf geometrische Weise ,verunendlicht’: das Auge ist nicht mehr an einen bestimmten Platz gebunden.“ Yve-Alain Bois: Metamorphosen der Axonometrie”, in: Daidalos, Bd. 1, Nr. 1, 15. September 1981, S. 40–58, hier S. 46. Daher rührt auch Bois’ Charakterisierung der Axonometrie als Mittel zur intellektuellen Auffassung eines Gegenstandes, der „mit geistigem Auge beschaut“ wird (Ebd., S. 40).
  • 13Diese Änderungen betrafen das zunehmende Verbot von Farbigkeit bei Ausschreibungen und der seltenere Bedarf nach zentralperspektivischen Ansichten, wohl auch, um eine höhere Anonymität der Wettbewerbsbeiträge zu erreichen. Der Zeichenunterricht an den Bauakademien und Technischen Hochschulen blieb noch lange den Prinzipien von Autorschaft des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet, was verbunden war mit einer Vorstellung von der Zeichnung als reinstem Ausdruck einer Idee. Doch auch im Zusammenhang der Lehre verlor die Architekturzeichnung zusehends an Eigenwert. Vgl. hierzu: Winfried Nerdinger: Die Architekturzeichnung. Vom barocken Idealplan zur Axonometrie. Zeichnungen aus der Architektursammlung der Technischen Universität München, 2. Aufl., München 1986, S. 16.
  • 14Scolari 2012 (wie Anm. 13), S. 1.
  • 15Ebd. S. 146 und weiter unten auf S. 151 punktgenau formuliert: „Oblique drawing and the model were in this sense equals.“
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