Ziel dieses Essays ist es, einen Beitrag zum Verständnis kreativer Dynamiken des Entwerfens entlang der Semiotik oder Zeichenlehre von Charles S. Peirce zu entwickeln. Durch die Anwendung seiner Zeichenlehre auf den Gestaltungsbereich, wodurch die Entfaltungsoperation des Entwerfens als Semiose betrachtet bzw. analysiert wird, ist es möglich, die Komplexität von Entwurfsdynamik zu begreifen. Fokussiert man die Dynamik aus diesem Blickwinkel, entsteht ein Wissen vom Entwurf, das diesen als Prozess einer hingezielten Entwicklung begreifbar macht. Dabei rückt die Frage ins Zentrum der Argumentation, wie etwas Neues durch den Entwurf und seine Verkörperung, im Sinne von Realisation, entstehen kann.
Entwurf kann im Allgemeinen als zielgerichtete Tätigkeit verstanden werden, welche eine schöpferische Kraft hervorbringt, und zwar als Vorbereitung auf einen später daraus zu entwickelnden Gegenstand. Daher trägt jeder Entwurf in sich eine Art Intentionalität zu weiteren Verkörperungen und Aktualisierungen, bei denen weitere Eigenschaften, die im Lauf dieses dynamischen Prozesses herausgefunden werden können, sichtbarer, erfahrbarer, berechenbarer und bestimmter werden.
Diese Vorstellung vom Entwurf als einer allgemeinen Evolutionsform schließt eine dynamische Bedeutung in sich ein, die ihrerseits zwei wichtige Aspekte mit sich bringt. Erstens, potenziell zu sein: das bedeutet, dass die Eigenschaften eines Entwurfs, d.h. seine praktischen Wirkungen, aktualisiert oder verkörpert werden können, um in dieser Aktualisierung gleichfalls wieder als Potenzial in einer weitergeführten, projektiven Entwicklung Anwendung finden zu können. Die Verkörperung eines Potenziellen bedeutet im Allgemeinen, das Potenzial erfahrbar zu machen. Der zweite Aspekt betont nun, dass das Potenzial nicht nur einen mehr oder weniger intentionalen und determinierten Plan zu seinen Verwirklichungen umfasst, sondern auch eine aktive Freiheit andeutet, die sich auf die Verkörperungen auswirkt. Wichtig ist es, hinzuzufügen, dass jede Form der Verkörperung schon eine spezifische Freiheit hervorbringt, indem Qualitäten als Erscheinungen und als Komponenten zu solchen Verkörperungen organisiert und zusammengefügt werden.
Im Allgemeinen kann der Begriff vom Entwurf in Anlehnung an den Kunsthistoriker Giulio Carlo Argan folgendermaßen definiert werden: Augenscheinlich ist jeder Entwurf eine Zeichnung sowie jede Zeichnung zumindest virtuell ein Entwurf ist. 11Vgl. Giulio Carlo Argan: „A História na Metodologia do Projeto“, in: Revista Caramelo (1993), Heft 6, S. 156–170, hier S. 156f.
Aus dieser kunstgeschichtlichen Sicht wird der Entwurfsbegriff häufig in derjenigen Bedeutung verwendet, die ihm die Renaissance zugeschrieben hat, nämlich als Idee des disegno. Zumindest wird tendenziell der Entwurfsbegriff mit dem Begriff disegno gleichgesetzt. Diese theoretische Bedeutung von disegno hat sich im 16. Jahrhundert entwickelt als das Produkt des Imaginationsakts gegenüber der geschulten Hand, bis schließlich Benvenuto Cellini den Begriff in einem zweiteiligen Prozess, d.h. in einem inneren und einem äußeren Prozess, zu beschreiben versuchte, 22Bernhard Siegert: „Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung“, in: Daniel Gehtmann, Susanne Hauser (Hg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science, Bielefeld 2009, S. 19–48, hier S. 19f. was dem Entwurf eine spezifische Dualität zugeschrieben hat.
Gemäß dieser Herkunft und gemäß dieses Diskurses ist der Begriff des Entwerfens von zwei Seiten her zu verstehen, von der Seite der forma und der Seite der idea (oder des concetto). Der Entwurf ist zum einen lineamento und zum anderen die Erfindung (invenzione), das Ins-Werk-Setzen der inventione und die „speculazione di menta“ selbst. 33Ebd., S. 20.
Betrachtet man solche Verkörperungen in diesem Sinne als intentionale Hervorbringungen von Potenzialen, so lässt sich dies an die projektive Entwicklung zurückbinden und als Grundlage für weitere Interpretationen nutzen, die ihrerseits als weitere Entwürfe gelten können. Die Weiterführung einer solchen Entwicklung ist in ihrer Öffnung für andere Intentionalitäten nun auch als Vernetzung beschreibbar.
In diesem Zusammenhang wird die Entwurfsdynamik nicht nur als quantitativ angesehen, denn ihre Verkörperungen umfassen verschiedene Aktualisierungen, durch die die Vielfalt an erfahrbaren Eigenschaften deutlicher und austauschbarer wird. Aufgrund des Anwachsens der Verdeutlichung der qualitativen Darstellungsmöglichkeiten der kreativen Wirkung solcher neu verkörperten Elemente, die auch auf weitere und ausgereiftere Parameter zur Weiterführungen hindeuten, stellt sich in diesem Prozess eine Art ästhetischer Intentionalität heraus. Folgt man Jeffrey Barnouws Analyse des Peirceschen ästhetischen Projektes als einer möglichen Grundlage zu einer Theorie der Kreativität, erweist sich das Ästhetische als kreativ, vernünftig und zwar im Sinne einer sich ausdehnenden schöpferischen Kraft. 44Vgl. Jeffrey Barnouw: „The Place of Peirce’s ›Esthetic‹ in his Thought and in the Tradition of Aesthetics“, in: Herman Parret (Hg.): Peirce and Value Theory. On Peircean Ethics and Aesthetics, Amsterdam, Philadelphia 1994, S. 155–178, hier S. 155. Vgl. auch MS 310, 1903, S. 9. Dieses Manuskript enthält wertvolle Auskünfte über die Natur des ästhetischen Objekts bzw. der Eigenschaften sowohl für die Studie der Ästhetik als normative Wissenschaft sowie als auch für eine fruchtbare Grundlage einer möglichen Kunsttheorie. Der Zitierweise der Peirceschen originalen Manuskripte gemäß ist MS für Manuskripten plus die Nummer des entsprechenden Manuskripts sowie dessen Entstehungsjahr anzugeben, um die Identifikation des Manuskripts im Manuskriptkorpus zu ermöglichen. Die Theorie der ästhetischen Intentionalität umfasst auch eine allgemeine Form vom Entwurfsprozess, indem die Wahrnehmungsprozesse, die Kategorisierung von Gefühlsgewohnheiten anhand eines bewundernswerten Ideals einerseits sowie der Produktion allgemeiner ästhetischen Objekte andererseits berücksichtigt und als ein grundlegender Entfaltungsprozess dargestellt werden sollen. Dieser Prozess bezieht sich auf das klassische Baumgartschen Binom „Aisthesis – Poiesis“, d.h., aus der ästhetischen Erfahrung zur absichtlichen Schöpfung. Meines Erachtens ist diesem Binom allerdings eine triadische Entfaltungsdynamik zuzuweisen. Im Folgenden gehe ich auf Peirces Zeichenlehre ein und erläutere genauer, was ich unter diesem auf die Ästhetik bezogenen Begriff triadischer Entfaltungsdynamik verstehe.
Die von mir aufgestellte These der ästhetischen Intentionalität beruft sich auf diesen Aspekt der intentionalen Handlung. Um die Argumentation der Entwurfsdynamik fortzusetzen, analysiere ich Intentionalität anhand der Peirceschen Zeichentheorie oder Semiotik als eine zielgerichtete Zeichenaktion, die eine schöpferische Kraft aufweist, welche ein Potenzial auf einen später daraus zu entfaltenden Gegenstand birgt. Anschließend gehe ich auf die Struktur des Entwerfens als Semiose ein, wobei Semiose hier entlang der Peirceschen Zeichenlehre als Akt eines Zeichens begriffen wird, welcher ein anderes, auf eine Repräsentationsebene bezogenes, verfeinertes Zeichen produziert.
Die Vorstellung von Entwurf ist deswegen immer auch als ein esse in futuro 55Esse futuro: Ein „künftig Seiendes“. zu verstehen, als das Potenzial einer noch offenen Zukunft, da die Vorgehensweise des Entwerfens darin besteht, seine Eigenschaften sowie seine Projektierungskraft immer als ein aktualisiertes, verbessertes und komplexeres Replikat zu verkörpern. Der Begriff Replikat ist ein anderer Schlüsselbegriff, der entlang der Peirceschen Zeichenlehre verstanden werden soll, als eine Art Mediatisierung, durch die eine Potenzialität in Erscheinung tritt. Diese Erscheinung funktioniert als Zeichen, welches die Verkörperung oder Materialisierung mit einer Vorstellung verbindet. Die Zeichnung eines Hauses ruft z. B. die Vorstellung eines Hauses bei einem Interpreten hervor. Diese Vorstellung kann auf ein Konzept des Hauses, auf eine abstrakte Bemalung des Hauses, auf ein bereits existierendes oder komplett neu zu entwickelndes Haus bezogen sein. Peirce nennt dieses Zeichen Replikat, oder auch Token. Und die verbindliche Funktion dieses Zeichens nennt er indexikal, denn sie weist einen dualen Aspekt der Indizierung auf zwischen dem, was erst vorgestellt wurde, und dem, was durch ein Medium – immer auf die erste Vorstellung bezogen – repräsentiert wird.
Im Folgenden ziehe ich weitere Konzeptionen der Semiose, bezüglich einer Entfaltungsoperation beim Entwerfen, in Betracht, um Peirces Zeichenlehre zur Analyse der Entwurfsdynamik zu entfalten. Dabei versuche ich auch zu klären, weshalb ich die vorerwähnte Definition Argans für eine allgemeine Bezeichnung des Entwerfens ausgewählt habe. Obwohl diese Definition „jeder Entwurf ist eine Zeichnung sowie jede Zeichnung ist zumindest virtuell ein Entwurf“ 66Giulio Carlo Argan: „A História na Metodologia do Projeto“ (wie Anm. 1), 156f. extrem kompakt ist und sie sich auf den ersten Blick als undeutlich erweist, stellt sie die notwendige Beweglichkeit einer Operation aus einer semiotischen Perspektive heraus. Die Entwurfsoperation als Semiose zu betrachten, bei der eine Vorzeichnung oder ein Plan mit dem Entwurfsprozess verbunden ist, heißt
die Zeichnung offen zu machen für Künftiges, durch die Zeichnung die Möglichkeit einer zukünftigen Vollendung zugleich einzuräumen und vorauszuplanen. Aber die Zeichnung ist nicht nur ein Raum optischer Konsistenz, der der zukünftigen Vollendung einen berechenbaren, vorabentworfenen Ort gibt. Die Zeichnung entfaltet als Medium Mobilisierungseffekte in der künstlerischen Werkstatt […]. Die Zeichnung ist ein Leistungs- und Kontrollinstrument, weil sie über Fehler nachprüfbar sind und Korrekturen vorgeschrieben werden können. 77Siegert: „Weiße Flecken und finstre Herzen“ (wie Anm. 2), S. 19f.
Bernhard Siegerts Argumentation folgt einer Definition von Zeichnung als Entwurfsoperation. Sie ist hier zwar auf die Renaissance bezogen, erhält aber eine Formulierung, welche der Peirceschen pragmatischen Maxime 88Peirce beschreibt seine pragmatische Maxime folgendermaßen: „Pragmaticism was originally enounced in the form of a maxim, as follows: Consider what effects that might conceivably have practical bearings you conceive the objects of your conception to have. Then, your conception of those effects is the whole of your conception of the object. […] The entire intellectual purport of any symbol consists in the total of all general modes of rational conduct which, conditionally upon all the possible different circumstances and desires, would ensue upon the acceptance of the symbol.“ Charles S. Peirce: „Issues of Pragmaticism“, in: The Monist (1905), Vol. XV/Issue 4, S. 481–499, hier S. 481. nahe steht. Und zwar deshalb, weil bereits beim Entwerfen klar ist, dass nach diesem Plan weitere folgen, die andere Aspekte des ersten, groben Plans berücksichtigen und verdeutlichen werden. Es werden Modelle gebaut, Experimente konstruiert, sei es mit zweidimensionalen Projektionstechniken, sei es mit dreidimensionalen Modellen. Dadurch, dass der Entwurf an Konkretion gewinnt, werden die Ungenauigkeiten und Messungsunsicherheiten sowie Fehler beim Planen korrigiert, neu formuliert oder sogar verworfen zu Gunsten eines anderen Modells. Siegert thematisiert die Medialität von Entwurfsprozessen. Denn sie erlaubt, sichtbar zu machen, was vorher noch in ovo beim Erschaffen der ersten Entwurfsidee entstand. Der Begriff Medialität verweist darauf, dass die Realisierungen, d.h. was verwirklicht wird, eine große Rolle bei der Entfaltung eines jeden Projektes spielt. Denn die Wirkung der Realisierung lösen weitere Verkörperungen des Plans zur Weiterentwicklung aus und eröffnen zugleich weitere Interpretationsmöglichkeiten des ursprünglichen Plans. Diese Dynamik ist daher eine Semiose. Habe ich bisher die Entwurfsdynamik als einen Zeichenprozess beschrieben, gehe ich jetzt darauf ein, worin die Semiose – oder der Zeichenprozess – besteht.
Die Semiose ist eine Zeichen-Aktion, in der das erste Zeichen in ein zweites Zeichen umgewandelt wird, und zwar mindestens in ein Gleichrangiges oder in ein wesentlich bestimmteres Zeichen. Dieser Prozess ist triadisch und hat die nicht reduzierbare Form „A gibt B zu C“.
Das Zeichen ist das erste Korrelat der triadischen Relation, das sein Dynamisches Objekt zu repräsentieren intendiert. Das Dynamische Objekt 99Im Peirces Wortgebrauch bezieht sich die Bezeichnung vom „Objekt“ auf den mittelalterlichen Terminus objectum. Der Begriff deutet auf ein Hindernis hin, welches eine Art des Aufhaltens, des Blockierens, des Hemmens aufzeigt. In der semiotischen Triade ist das dynamische Objekt einigen Aspekten der Realität gleichzusetzen, deswegen ist es vom Zeichen unabhängig. ist das zweite Korrelat dieser Relation und bestimmt das Zeichen. Es ist vom Zeichen unabhängig und setzt auch die Intention auf das Zeichen um, welche Einfluss auf das Zeichen ausübt. Das Dynamische Objekt bestimmt hierdurch auch den Interpretanten. Der Interpretant ist ein drittes Korrelat der triadischen Relation und er wird durch die Bestimmung oder durch die Einflussnahme des Dynamischen Objekts mittelbar durch das Zeichen determiniert. Der Interpretant ist zugleich ein anderes Zeichen, welches bestimmter ist als das erste Korrelat. Das Zeichen des ersten Korrelats, trägt die Determination des Dynamischen Objektes zur Bestimmung des Interpretanten in sich. Diese Determination zur Repräsentation bildet das unmittelbare Objekt, welches sich innerhalb des Zeichens des ersten Korrelats befindet. Bei der Semiose kreiert die Determination des Dynamischen Objekts auf das Zeichen auch eine zweite Spannung: die Determination zur Verfeinerung des Interpretanten als ein bestimmteres Zeichen. Innerhalb des ersten Zeichens erscheint dadurch ein Unmittelbarer Interpretant, welcher eine Bereitschaft zur Interpretation auslösen kann. Dieses Potential kreiert nebenbei eine weitere Spannung und daher entsteht der Unmittelbare Interpretant, welcher seinerseits ein Potenzial zur Interpretation ist und der den semiotischen Prozess weiterführen kann. Der tatsächliche von dem Dynamischen Objekt bestimmte Dynamische Interpretant konfiguriert sich in dem Prozess der Semiose dadurch, dass dieser Begriff die Beweglichkeit des Interpretationsprozesses umfasst. Deswegen ist der Interpretant als ein gesamter Prozess zu verstehen und nicht als ein einziges Zeichen. Laut Peirce:
Was den Interpretanten betrifft, so müssen wir gleichermaßen unterscheiden: erstens den Unmittelbaren Interpretanten, welcher der Interpretant ist, wie er durch das richtige Verstehen des Zeichens selbst offengelegt wird und gewöhnlich die Bedeutung des Zeichens genannt wird, während wir zweitens den Dynamischen Interpretanten berücksichtigen müssen, welcher die tatsächliche Wirkung ist, die das Zeichen als Zeichen wirklich bestimmt. Schließlich gibt es noch, was ich provisorisch als Finalen Interpretanten nenne, der sich auf die Art bezieht, wie das Zeichen sich tendenziell selbst darstellt in seiner Beziehung auf das Objekt. 1010Charles S. Peirce, „Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus: Entwürfe und Nachträge: 1906 und 1908“, in: Ders.: Semiotische Schriften. Bd. 3, hg. von Christian J.W. Kloesel, Helmut Pape, Frankfurt a. M. 2000, S. 132-192, hier S. 145.
Ich habe erwähnt, dass jede Aktualisierung eines Plans eine Verkörperung des Plans ist, die Replikat genannt wird. Jedes Replikat ist ein Token. In diesem Sinne ist ein Token eine Art von Zeichen, dessen Sein in dyadischen Relationen besteht. Denn es führt eine Intentionalität durch die Verkörperung, die Erscheinung des Neuen und seiner potenziellen Möglichkeiten tatsächlich als etwas Erfahrbares vor. In Peirces Worten:
Ein einzelnes Ereignis, das einmal geschieht und dessen Identität auf dieses eine Geschehen begrenzt ist, oder ein einzelnes Objekt oder Ding, das an einem einzelnen Ort oder zu irgendeinem Zeitpunkt existiert, ein derartiges Ereignis oder Ding, das bedeutsam nur insofern ist als es gerade dort und dann vorkommt, wo es vorkommt, geradeso wie dies oder jenes Wort auf einer einzelnen Zeile einer einzelnen Seite eines einzelnen Exemplars eines Buchs, erlaube ich mir, Token zu nennen. 1111Peirce, „Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus“ (wie Anm. 11), S. 146.
Ein Typ ist eine andere Art des Zeichens. Es lässt sich als ein Zeichen der Ordnung, der Regelmäßigkeit fassen und besitzt daher einen symbolischen Charakter. Gemäß Peirces Zeichenlehre ist ein Symbol ein Zeichen, welches die Prinzipien zur weiteren Interpretationen in sich selbst enthält. Der Plan eines altrömischen Gebäudes beispielsweise ist ein Symbol in diesem Sinne, denn die Zeichnung beinhaltet schon mehr oder weniger implizit oder potenziell weitere Schritte zur Verwirklichung des Gebäudes. Der Plan kann sich nur dadurch ausdrücken, indem er durch einen Token verkörpert ist, denn dieses Potenzial muss mediatisiert bzw. interpretiert werden. Daher ist der Plan schlechthin ein Allgemeines, das nur durch ein Replikat verkörpert wird und eine Zweckmäßigkeit besitzt, die eine gerichtete Verkörperung seiner ausgedrückten Prinzipien oder Ideale provoziert. Diese progressiven Aktualisierungen verursachen eine Verdeutlichung und Verfeinerung des ursprünglichen Zwecks des Typen. Als Diagramm, auch wenn der Plan symbolischen Charakter aufweist, zeigt er sich prädominant ikonisch. Ikone, d.h. Zeichen, die intendieren, allgemeine und qualitative Aspekte darzustellen, sagt Peirce, sind hauptsächlich erforderlich, um die Formen der Synthese der Elemente des Denkens zu enthüllen:
Denn, wenn man genau formuliert, so können Ikone nichts anderes darstellen als Formen und Gefühle. Das ist der Grund, warum in der gesamten Mathematik, von der Elementararithmetik an aufwärts, Diagramme unverzichtbar sind, und in der Logik verhält es sich fast genauso. Denn das Schlussfolgern, ja die Logik im Allgemeinen, hängt gänzlich von Formen ab. […] Keine reinen Ikone stellen irgendetwas anderes als Formen dar; keine reinen Formen werden durch irgendetwas anderes als durch Ikone dargestellt. 1212Ebd., S. 154.; Hervorhebungen von T. C. S.
Das Ikon besteht in der darstellenden Beziehung zwischen einem Zeichen und den qualitativen Aspekten seines Dynamischen Objekts. Ein Ikon ist ein Qualizeichen, zuweilen auch als Ton benannt. In Peirces Begrifflichkeit ist ein Qualizeichen eine reine Qualität, die als Zeichen funktioniert, d.h. irgendetwas vermittelt, auch wenn der Inhalt dieser Vermittlung nur ein reines „Bild“ der auslösenden Qualität ist oder, anders gesagt, eine andere, ähnliche Qualität ist. Zum Beispiel der Klang einer Stimme. Das gesamte Sein des Tones ist eine Qualität. Also eine Seinsweise, die, wie Peirce behauptet, nur als eine Art Fühlen begriffen werden kann, weil es keine andere Seinsweise gibt, die wir so auffassen könnten, dass sie keine Beziehung zur Möglichkeit von etwas anderem hätte. Demzufolge bezeichnet er die Interpretation einer Qualität als Gefühlsqualität, denn diese Interpretation ist ein qualitatives Bild der ursprünglichen, wahrgenommenen Qualität. Anders herum, wenn diese Qualität als Zeichen funktioniert, wenn die Qualität vermittelt wird, evoziert diese Art der Darstellung eine andere Qualität als Interpretation durch Ähnlichkeit. Diese Art der Interpretation einer verkörperten Qualität schließt einen Prozess des logischen Fühlens mit ein. Dieses logische Fühlen erfolgt nun dadurch, dass eine kontinuierliche Qualität durch Ähnlichkeit als Interpretation im Vordergrund eines Bewusstseins steht. Dies geschieht auf Grund der Natur der Qualität: wenn diese wahrgenommen wird, erfüllt sie die Gesamtheit des Bewusstseins, wodurch die vermittelnden Fähigkeiten der symbolischen Kognition „betäubt“ sind. Dennoch ist dieses Gefühlt der Qualität extrem flüchtig, ätherisch. Versucht man, das Gefühl durch Kognition zu betrachten, verliert man das Gefühl an sich selbst. Diese Form von qualitativen Präsentation, ist die flüchtigste, aber auch wichtigste für den ästhetisch-semiotischen Prozess der Entstehung neuer Ideen.
Um überhaupt wahrgenommen werden zu können, muss eine Qualität – oder eine Reihe von Qualitäten – verkörpert werden, und zwar durch ein schon vorerwähntes Replikat, einen Token. Das Wesen einer Qualität (oder Tones) und eines Typen ist kontinuierlich. Das Wesen eines Token dagegen besteht in einer verkörperten, vergegenwärtigten Diskontinuität, die ihrerseits den anderen Zeichentypen Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit verleiht. Die Token bilden dann nicht nur die Vielfalt zu verkörpernder potenzieller Aspekte der Ordnung, Regelmäßigkeit und Zweckmäßigkeit, sondern auch die Vielfalt der Qualitäten und der Verschiedenheiten. Denn, wenn die Qualitäten von außen betrachtet werden, werden alle möglichen verschiedenen Sinnesqualitäten in grenzenloser Vielfalt wahrgenommen, so dass alles, was wir empfinden können, nur kleinste Fragmente von ihnen sind. An sich selbst sind die Qualitäten absolut: es ist ein Bewusstsein, komplett ausgefüllt mit einem Gefühl, absolut, ohne Teile, ohne vermittelnde Vorstellung. Aber von außen betrachtet, bilden die Sinnesqualitäten die Verschiedenheit, die Freiheit von Formen und Farben, beispielweise der Natur, und diese sind nur wahrnehmbar, weil sie durch einen Token verkörpert sind.
Eine solche Entfaltungsdynamik, insbesondere auf den von mir untersuchten Entwurfsprozess bezogen, enthält eine Ereignislogik, dessen Merkmal auf einem (im Peirceschen Sinne betrachteten) lebensspendenden Prinzip, also auf einem Gesetz des Wachstums, beruht. In jeder Aktualisierung oder in jeder Durchführung eines Entwurfs wird das ästhetische Potenzial zur Weiterentwicklung teilweise auch verkörpert. Ich versuche deswegen dieses Potenzial umzuformulieren: das ästhetische Potenzial, das die Intentionalität bildet, ist ein nicht analysierbarer Eindruck einer Vernünftigkeit, d.h. selbst kontrollierter und hingezielter, neuer Handlungen, die das Neue in der Erfahrung beständig hervortreten lassen. Und nebenbei bringen sie zugleich herauszubildende Schöpfungen hervor. Es ist ein reines Fühlen, aber ein Gefühl, im Sinne von Gepräge, von etwas Potenzialem, von einem prägnanten Plan, welcher kreiert.
- 1Vgl. Giulio Carlo Argan: „A História na Metodologia do Projeto“, in: Revista Caramelo (1993), Heft 6, S. 156–170, hier S. 156f.
- 2Bernhard Siegert: „Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung“, in: Daniel Gehtmann, Susanne Hauser (Hg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science, Bielefeld 2009, S. 19–48, hier S. 19f.
- 3Ebd., S. 20.
- 4Vgl. Jeffrey Barnouw: „The Place of Peirce’s ›Esthetic‹ in his Thought and in the Tradition of Aesthetics“, in: Herman Parret (Hg.): Peirce and Value Theory. On Peircean Ethics and Aesthetics, Amsterdam, Philadelphia 1994, S. 155–178, hier S. 155. Vgl. auch MS 310, 1903, S. 9. Dieses Manuskript enthält wertvolle Auskünfte über die Natur des ästhetischen Objekts bzw. der Eigenschaften sowohl für die Studie der Ästhetik als normative Wissenschaft sowie als auch für eine fruchtbare Grundlage einer möglichen Kunsttheorie. Der Zitierweise der Peirceschen originalen Manuskripte gemäß ist MS für Manuskripten plus die Nummer des entsprechenden Manuskripts sowie dessen Entstehungsjahr anzugeben, um die Identifikation des Manuskripts im Manuskriptkorpus zu ermöglichen.
- 5Esse futuro: Ein „künftig Seiendes“.
- 6Giulio Carlo Argan: „A História na Metodologia do Projeto“ (wie Anm. 1), 156f.
- 7Siegert: „Weiße Flecken und finstre Herzen“ (wie Anm. 2), S. 19f.
- 8Peirce beschreibt seine pragmatische Maxime folgendermaßen: „Pragmaticism was originally enounced in the form of a maxim, as follows: Consider what effects that might conceivably have practical bearings you conceive the objects of your conception to have. Then, your conception of those effects is the whole of your conception of the object. […] The entire intellectual purport of any symbol consists in the total of all general modes of rational conduct which, conditionally upon all the possible different circumstances and desires, would ensue upon the acceptance of the symbol.“ Charles S. Peirce: „Issues of Pragmaticism“, in: The Monist (1905), Vol. XV/Issue 4, S. 481–499, hier S. 481.
- 9Im Peirces Wortgebrauch bezieht sich die Bezeichnung vom „Objekt“ auf den mittelalterlichen Terminus objectum. Der Begriff deutet auf ein Hindernis hin, welches eine Art des Aufhaltens, des Blockierens, des Hemmens aufzeigt. In der semiotischen Triade ist das dynamische Objekt einigen Aspekten der Realität gleichzusetzen, deswegen ist es vom Zeichen unabhängig.
- 10Charles S. Peirce, „Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus: Entwürfe und Nachträge: 1906 und 1908“, in: Ders.: Semiotische Schriften. Bd. 3, hg. von Christian J.W. Kloesel, Helmut Pape, Frankfurt a. M. 2000, S. 132-192, hier S. 145.
- 11Peirce, „Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus“ (wie Anm. 11), S. 146.
- 12Ebd., S. 154.; Hervorhebungen von T. C. S.