Periphera. Fotostrecke

Ausgabe #9
Februar 2021
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Das erste, was mir einfällt, wenn ich an das Symposium sharing/learning: methods of the collective in art, research and activism zurückdenke, ist eine Palme. An dem Morgen, als das Symposium beginnen sollte, stand die Palme vor dem Tisch, der für die Anmeldungen vorgesehen war. Irgendjemand musste sie am Tag zuvor schon dort platziert haben, vielleicht in dekorativer Absicht. Viele, die den großen Raum im Laufe dieser zwei Tage betraten, dürften die Palme als erstes gesehen haben. Möglicherweise handelte es sich um eine „Goldfruchtpalme“ (Chrysalidocarpus lutescens), auch „Areca-Palme“ (Dypsis lutescens) genannt. Die Goldfruchtpalme stammt ursprünglich aus Madagaskar. Sie ist angeblich eine sehr beliebte Zimmerpflanze, in Madagaskar ist sie dagegen vom Aussterben bedroht. Aber das habe ich nachträglich recherchiert, damals habe ich mich dafür nicht interessiert.

Die Palme war präsent, nicht zuletzt als ein Problem. War sie genau mittig vor dem Tisch platziert, war es schwierig, an den Tisch heranzukommen. Die Palme war zwar nicht sehr groß, ihre Blätter nicht allzu spitz – im Gegenteil, an den Enden war sie größtenteils schon etwas vertrocknet und ausgefranst – aber ihr Wuchs war doch recht raumgreifend, sodass links und rechts nur wenig Platz blieb. Auch wollte ich mir ungern vorstellen, wie sich die Ankommenden um sie herum drängen und sie versehentlich mit ihren Taschen und Rucksäcken streifen.

Rechts vom Tisch hingen Listen aus, um sich für die verschiedenen Workshops einzutragen. Dieser Platz fiel für die Palme also ebenfalls aus. Ganz links hätte geheißen, für alle den Weg zu verlängern, den sie hätten zurücklegen müssen, um den Raum zu betreten oder zu verlassen. Wir haben die Palme tatsächlich mehrfach gerückt und gedreht, bis sie am Ende links vor dem Tisch stand. So trennte sie den Strom der Herein- und Hinausdrängenden von jenen, die gerade an der Anmeldung standen.

Das erste, was mir einfällt, wenn ich an das sharing/learning Symposium denke, sind solche scheinbaren Nebensächlichkeiten: Das Licht, das aus einer fernen Ecke des Raumes durch trübe Industriefenster fiel. Die Laderampe aus Beton entlang des Gebäudes – mit ihrer stählernen Kante, die auch am Abend noch warm war von der Hitze des Tages. An die große Grünfläche mit Badesee dahinter. Erst dann kommen die Menschen ins Spiel – aber auch hier sind mir weniger die einzelnen Begegnungen, sondern vor allem die Stimmung dieser Tage im Gedächtnis geblieben.

Die folgende Fotostrecke ist diesen vermeintlichen Nebensächlichkeiten gewidmet. In der Einleitung zum Sammelband Periphere Visionen: Wissen und die Denkfigur des Randes schreiben Heide Barrenechea, Marcel Finke und Moritz Schumm, der Begriff des Randes verweise 

„einerseits auf den Umstand, dass das Feld des Sichtbaren kein homogenes Panorama ist, in dem alles gleichermaßen ersichtlich wäre. Andererseits erinnert er daran, dass auch das Wissen kein einheitlicher epistemischer Bereich ist, in dem alles gleichermaßen evident und kognitiv durchdrungen wäre. Anders gesagt: Lange bevor Sehen in Blindheit und Wissen in Ignoranz umschlägt, gibt es immanente Zonen des Ungewissen, diffuse Ränder, die den Blick und das Denken in Bewegung halten und bewirken, dass sich in die visuelle Wahrnehmung und die Arbeit des Intellekts stets auch Imaginationen, Vermutungen, Intuitionen, Begehren, Erinnerungen, Erwartungen, Ahnungen und dergleichen einmischen.“ 11Barrenechea, Heide; Finke, Marcel; Schumm, Moritz: „Einleitung. Periphere Visionen, Wissen und die Denkfigur des Randes“, in: Barrenechea, Heide; Finke, Marcel und Schumm, Moritz  (Hg.): Periphere Visionen: Wissen an den Rändern von Fotografie und Film, Paderborn 2016, S. 9–23, hier S. 22.

Ich habe im Verlauf des Symposiums etliche Fotos mit meinem Handy gemacht, eigentlich nur für die Dokumentation. Im Nachhinein – nachdem ich mich mit Juana Awad darüber unterhalten hatte, was dieses Symposium zu etwas Besonderem machte – habe ich dann in den Bildern gezielt nach Ausschnitten gesucht, die eher die Randphänomene zeigen. Deshalb ist die Auflösung meist nicht besonders und auch die Formate schwanken etwas. Die Reihenfolge der elf Bilder entspricht der Chronologie. 

Ich selbst habe das Symposium nur am Rande organisatorisch unterstützt (Auf- und Abbau, Anmeldung, Besorgungen, Moderation) und konnte auch nicht die vollen zwei Tage dabei sein. Vielleicht ist das der Grund, warum mir eher der Ort, die Stimmung und kleine Details in Erinnerung geblieben sind als konkrete Beiträge auf den Podien.

Vermutlich hat es aber auch damit zu tun, dass die Begleitumstände hier stärker mitbedacht wurden als sonst üblich. Zumindest machte das Symposium vieles anders. Der weitgehende Verzicht auf Vorträge zugunsten von Diskussionen oder die Abschlussrunde, in der tatsächlich sämtliche Teilnehmer*innen in einem großen Kreis saßen – so etwas verändert die Atmosphäre einer Tagung. Nebensächlichkeiten spielen immer eine Rolle, egal ob sie mitbedacht werden oder nicht.

Detail Eingang
Abb. 1.
Detail Eingang
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail im Raum
Abb. 2.
Detail im Raum
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Abb. 3. 
Detail draußen
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail draußen
Abb. 4.
Detail draußen
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail draußen
Abb. 5.
Detail draußen
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail draußen beim Arbeiten
Abb. 6.
Detail draußen beim Arbeiten
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail draußen beim Arbeiten
Abb. 7.
Detail draußen beim Arbeiten
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail im Raum
Abb. 8.
Detail im Raum
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail im Raum
Abb. 9.
Detail im Raum
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Detail im Raum
Abb. 10.
Detail im Raum
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“
Abb. 11.
Detail im Raum während The Alphabet of Fame von Nuray Demir
Foto: Fritz Schlüter. Courtesy: DFG-Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“

    Fußnoten

  • 1Barrenechea, Heide; Finke, Marcel; Schumm, Moritz: „Einleitung. Periphere Visionen, Wissen und die Denkfigur des Randes“, in: Barrenechea, Heide; Finke, Marcel und Schumm, Moritz  (Hg.): Periphere Visionen: Wissen an den Rändern von Fotografie und Film, Paderborn 2016, S. 9–23, hier S. 22.
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