Kollektive Zeit(en)reise – eine Probe mit den Theaterlingen

Ausgabe #9
Februar 2021
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Die Theaterlinge sind eine inklusive, generationsübergreifende Theatergruppe, die sich seit mehr als zehn Jahren im AWO Falkclub in Berlin Neukölln trifft. Ihrer solidarischen Praxis folgend, in der sie (un-)gewöhnlich Spielweise erproben und die Stücke gemeinsam entwickeln, soll auch dieser Beitrag in Zusammenarbeit entstehen und Einblicke in ihre Methoden, Erfahrungen und Wissen geben. Aufgrund der pandemischen Situation ist das Zusammenkommen und -arbeiten erst seit kurzem wieder möglich. Dieser Beitrag ist damit auch ein Dokument für die zurzeit erschwerten Bedingungen für kollektiv organisierte Schaffensprozesse und situative Voraussetzungen, die nicht durch digitale Kommunikationswege aufgefangen oder ersetzt werden können.

Liebe*r Leser*in,

der Workshop Kollektive Zeit(en)reise – eine Probe mit den Theaterlingen, den wir bei dem Symposium teilen/lernen: Methoden des Kollektiven in Kunst, Wissenschaft und Aktivismus hielten, bildet den Ausgangspunkt für diesen Beitrag. Bei dem Workshop hatten wir in einem situativen performativen Setting die Teilnehmenden dazu eingeladen, unsere Praxis im Probenkontext kennenzulernen. Das Material waren unsere (Lebens)Geschichten, Erfahrungen und Visionen und unsere Körper, die wir als Archive und Medien begreifen.

Die gemeinsame Entwicklung des Textes – ebenso wie unsere regelmäßigen Treffen – waren lange Zeit nicht möglich. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten wir uns gut ein Jahr nicht in unserem gewohnten Setting treffen. Online-Treffen sind für die meisten von uns keine Alternative gewesen. Sofern es zeitweise möglich war, kamen wir in kleineren Gruppen, nie in voller Besetzung, zusammen. So konnten wir den Kontakt untereinander aufrechterhalten und uns über unsere Gefühle und Gedanken zur Pandemie austauschen oder uns mit anderen Themen etwas ablenken.

Seit August 2021 ist es für uns wieder möglich zusammen zu kommen, an einem neuen Stück und an diesem Beitrag zu arbeiten.

Im Folgenden lest Ihr einen aus Interviewschnipseln zusammengestellten Text, der uns, unsere Erfahrungen, unser Wissen und unsere über Jahre verbindende Theaterarbeit reflektiert. Außerdem könnt Ihr weiter unten unser Video superhéroes*heroins anschauen und so einen Einblick in eines unserer Projekte erhalten.

Im Namen der Gruppe – Anika Lachnitt – Künstlerische BegLeitung (Oktober 2021)

P.S.: Die Theaterlinge freuen sich sehr über Besuch.

 

Theater machen

Meine Lieblingsrolle war in dem Stück, bei dem ich zum ersten Mal mitgespielt habe. Die mit der Seemannsmütze. Für mich war es die Hexe Sycorax in „Der Sturm“. Da konnte ich so richtig schön lachen. Ich erinner’ mich an einige, aber besonders an die, als ich mit F. das Bruderduell gespielt hab. Ich finde es gut, wenn wir über unser Leben reden können. Dann erzählen wir etwas von uns und die anderen hören zu. Theater bedeutet Fröhlichkeit, dass wir aus uns rauskommen und selber sprechen. Ich mag es, wenn wir improvisieren und nicht so viel auswendig können müssen. Wenn wir unsere Hemmungen fallen lassen und richtig spielen können. Ich finde es schön, wenn wir uns mit Geschichten beschäftigen. Mir bedeutet das Theater spielen sehr, sehr viel. Wenn ich mal nicht da bin, dann fehlt mir das. Besonders mag ich die Auftritte und wenn Publikum da ist, das dann ganz laut applaudiert und jubelt, obwohl wir keine Profis sind. Etwas aus eigener Kraft zu sagen ist mir sehr wichtig. Wir sagen nicht immer dasselbe, sondern was uns einfällt in unseren eigenen Köpfen. Theater ist etwas, was uns ausmacht. Das eine Mal ist es so, das andere Mal ist es so, aber immer der gleiche Sinn. Wir probieren dann was Neues aus. Ich finde gut, dass man auch mal in Rollen schlüpfen kann, in denen man noch nie gesteckt hat. Ich liebe die tollen Kostüme, die wir anziehen dürfen.  Es macht riesig Spaß mit Leuten zusammen zu arbeiten. Und wenn wir auch mit anderen mal zusammenkommen, die wir noch nicht kennen. Als wir den Workshop gegeben haben, das war sehr schön. Die Theaterlinge sind wie eine Familie für mich. Hier können alle sein, wer sie sind. Ich komme so gerne zur Theaterprobe, um die Menschen aus der Gruppe wieder zu sehen. Wir sind die Theaterlinge, wir halten zusammen, wir lernen Neues und lachen viel, dass ist schön. Als es jetzt wegen Corona so lange ausgefallen ist, da hab’ ich gemerkt wie sehr mir das fehlt. The show must go on. Was lange währt, wird gut. Oh-ha. Ich weiß noch, wo ich das erste Mal zu den Theaterlingen kam. Da wurde ich eingeladen mitzumachen und seitdem bin ich dabei. Das ist irgendwie wie zaubern.

 

superhéroes*heroins

superhéroes*heroins – ein Kurzfilm der Theaterlinge/AWO Falkclub Neukölln in Zusammenarbeit mit Anika Lachnitt, Verena Melgarejo Weinandt, Liesa Kovacs und El Boum

Möwe, Frosch, Pilot, Prinzessin, Cat Women und Co sind die Superheld*innencharaktere der inklusiven Theatergruppe Theaterlinge. Gemeinsam haben sie sich im Rahmen von dem Teilprojekt Urban Caring auf die Suche nach Superkräften begeben, die sie sich im alltäglichen Schlamassel im Berliner Stadtleben wünschen. Dabei landen sie nicht nur beim Fliegen, Klettern und Heilen, sondern auch beim Gesund sein, Lesen und Schreiben, barrierefreiem Fortbewegen, gemeinsamen Singen, Tanzen und voneinander Lernen.

Dieser Film entstand im Teilprojekt Urban Caring des künstlerisch-edukativen Projektes Caring for Conflict, welches von 2017-2019 als Kooperation zwischen District * School without Center und dem Institut für Queer Theorie sowie in Zusammenarbeit mit Jugend- und Begegnungszentren, Schulen und Bildungseinrichtungen stattfand.
Für mehr Informationen: www.caring-for-conflict.de

Auch wurde der Film im Rahmen des Klirrrr Festivals 2019 @ District * School without Center gezeigt.

Außerdem luden die Theaterlinge Festivalbesucher*innen in das performative Superheld*innen*Forschungslabor – Urban Caring: Meet´n´greet the superhéroes*heroins –, indem sie den alltäglichen und utopischen Superkräften kreativ, posend, tanzend, erzählend auf die Spur kamen.

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