„Kunst lässt sich nicht archivieren – sie muss archiviert werden, wenn man davon etwas überliefern will“ – so formulierte Erdmut Wizisla das Kernproblem und die Aufgabe, die anhand der Beispiele des Bertolt-Brecht-Archivs und der Initiative für ein Archiv des freien Theaters im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe FAKTEN SCHAFFEN am 21. November 2016 standen. Die beiden Kurzvorträge von Wizisla und Stefanie Wenner über ihre Arbeit an diesen Institutionen und die anschließende Podiumsdiskussion wurden akustisch dokumentiert und können hier in Ausschnitten nachgehört werden. Wir haben uns entschieden, die Beiträge nicht in Gänze zur Verfügung zu stellen, sondern diese in Sinneinheiten zu zerteilen und entsprechend zu betiteln, um die Orientierung im Soundmaterial zu erleichtern.
Erdmut Wizisla „Der Dichter als Archivar in eigener Sache: Zum Beispiel Brecht“
Der Dramatiker, Theatermacher und -theoretiker Bertolt Brecht beschäftigte sich schon früh mit Formen der Dokumentation seines Schaffens und entwickelte Formate und Wege, seine Arbeit für die Nachwelt nachvollziehbar zu machen. Erdmut Wizisla verwaltet als Leiter des Bertolt-Brecht-Archivs dieses Erbe und zeichnete mit „acht Sätzen, in denen ich über Brecht als Archivar und das Brecht-Archiv nachdenke“, seine Arbeit mit den Archivalien und Brechts Vorgehen nach.
Acht Sätze
1. Brecht betrachtete sein Arbeitsmaterial wie ein Archivar.
2. Brechts Selbstbewusstsein schuf die Grundlage für die Überlieferung.
3. Kunst ist gemacht und kann also dokumentiert werden.
4. Brecht ist dabei (bei der Dokumentation) offen für Dokumentations- und Aufzeichnungsmedien.
5. Über Kunst kann man nur künstlerisch sprechen.
6. Die Arbeit des Brechtarchivs ist geprägt von Akribie, „Inhaltismus“ und methodischer Raffinesse.
7. Das Brechtarchiv beförderte die Brechtrezeption.
8. Ein Archiv verstört die Rezeption.
Stefanie Wenner: „Politik und Archiv“
Stefanie Wenner widmet sich als Mitinitiatorin der Arbeitsgruppe für ein zukünftiges Archiv des freien Theaters dem schwierigen Versuch, die vielen unterschiedlich organisierten und ästhetisch ausgerichteten Akteur_innen der freien Theaterszene in Deutschland und deren vorhandene Materialien in einem „lebendigen Archiv“11Vgl. http://www.theaterarchiv.org zusammenzubringen. Im ersten, hier nachhörbaren Teil ihres Vortrags, setzt sie sich mit der Topologie des Archivs auseinander. Dabei nimmt sie Bezug auf das Projekt „Two Minutes of Standstill“ von Yael Bartana, das sie 2013 kuratierte.22Vgl. u.a. http://2013.festivalimpulse.de/en/programm/129/yael-bartana-de-il (zuletzt am 29.09.2017); Wenner, Stefanie: „Memory, Not The Real Thing. Yael Bartanas ‚2 Minutes Stillstand‘ in Köln“, in: Nikitin, Boris/Schlewitt, Carena/Brenk,Tobias: Dokument, Fälschung, Wirklichkeit. Materialband zum zeitgenössischen Dokumentarischen Theater, Berlin 2014, S. 188–200; Wenner, Stefanie/Malzacher, Florian (Hg.): Two Minutes Standstill. On Yael Bartana’s performative Intervention in German History, Berlin 2014.
1. Was ist Geschichte und wie fixieren wir wie? Über ein Scheitern eines Versuchs der performativen Erinnerung.
2. Das Ringen um die Legitimation der freien (Theater-)Szene und die bisherige Geschichte der Initiative des Archivs des freien Theaters.
3. Szene, freie Szene und die Möglichkeit, das Archiv des freien Theaters topologisch zu denken.
4. Schlussfolgerungen für ein Archiv des freien Theaters.
Stefanie Wenner und Erdmut Wizisla im Podiumsgespräch
Erdmut Wizisla mit einem Kommentar auf Stefanie Wenners Vortrag und der Frage: Wenn die Akteur_innen gleichzeitig die Archivar_innen sind, wo sehen Sie Chancen und Risiken, Frau Wenner?
Stefanie Wenner: Was machen Sie mit Lücken, Herr Wizisla?
Lisa Großmann: Wie kann die spezifische Körperlichkeit der Theaterakteur_innen und die Flüchtigkeit des Theaters in ein Archiv Eingang finden?
Lisa Großmann: Wie können den Benutzer_innen des Archivs durch Verknüpfungen von Dokumenten (durch Datenbanken, Karteikarten u.a.) Wege aufgewiesen werden? Welche Wege möchten Sie als Archivar_innen durch die Verknüpfungen von Dokumenten, wie beispielsweise Videos und Abendzetteln, legen und welche vermeiden?
Erdmut Wizisla: Wie schätzen Sie das Dokumentationsbedürfnis und die Dokumentationsfähigkeiten der freien Szene – auch wenn man hier nicht pauschalisieren kann – im Vergleich zum Stadttheater ein, wo es mittlerweile eine bestürzende Gleichgültigkeit dem Archivieren gegenüber gibt, Frau Wenner?
Lisa Großmann: Wie muss eine Politik des Archivs aussehen, die eine Erforschung des Archivbestands befördern will?
Erdmut Wizisla: Wird es eine zentrale Datenbank geben, auf die ich als Interessent_in zugreifen kann oder widerspricht das der Idee des Archivs des freien Theaters?
Zuhörer_in im Publikum: Welche Theaterformen und welche Künstler_innen werden Teil des Archivs des freien Theaters und wer entscheidet das auf welche Weise, Frau Wenner?
Zuhörer_in im Publikum: Müssen die Formen des Archivs ausgehend von den Dokumenten gedacht werden, wie auch die Dokumente ausgehend von den Formen des jeweiligen Theaters?
Besonderer Dank gilt Johannes Plank (Film- und Musikschaffender in Berlin) für die Bearbeitung der Tonaufnahmen.
- 1Vgl. http://www.theaterarchiv.org
- 2Vgl. u.a. http://2013.festivalimpulse.de/en/programm/129/yael-bartana-de-il (zuletzt am 29.09.2017); Wenner, Stefanie: „Memory, Not The Real Thing. Yael Bartanas ‚2 Minutes Stillstand‘ in Köln“, in: Nikitin, Boris/Schlewitt, Carena/Brenk,Tobias: Dokument, Fälschung, Wirklichkeit. Materialband zum zeitgenössischen Dokumentarischen Theater, Berlin 2014, S. 188–200; Wenner, Stefanie/Malzacher, Florian (Hg.): Two Minutes Standstill. On Yael Bartana’s performative Intervention in German History, Berlin 2014.