Weiterdenken: In a Hotel State of Mind…

Ausgabe #7
November 2017
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Verändert der Aufenthalt in einem Hotelzimmer unser Denken? Inwieweit prägt das Hotel eine eigenständige Perspektive auf die Welt? Diesen Fragen geht der vorliegende Text mit Blick auf die Videoserie Hotel Diaries des britischen Experimentalfilmers und Videokünstler John Smith und unter Heranziehung von Wayne Koestenbaums Hotel Theory nach.

Die sieben Episoden des Videozyklus Hotel Diaries 11Hotel Diaries (2001-07) Serie von sieben SD-Video-Arbeiten, 82 min, Farbe, Ton: Frozen War (Irland, 8. Oktober 2001, 11 min.); Museum Piece (Deutschland, 14. Oktober 2004, 12 min.); Throwing Stones (Schweiz, 13. November 2004, 11 min.); B & B (Großbritannien, 26 November 2005, 6. min); Pyramids / Skunk (Niederlande, 29 Januar 2006 / 29 Januar 2007, 17 min), Dirty Pictures (Palästina, 15./16. April 2007); Six Years Later (Irland, 20 Oktober 2007, 9 min. von John Smith folgen einem gemeinsamen Prinzip: Anlässlich des Besuchs eines Filmfestivals in einer fremden Stadt, erkundet der britische Experimentalfilmer und Videokünstler mit der Kamera das Interieur seines Hotelzimmers. Dabei berichtet er nicht nur aus seinem Alltag als Filmemacher, sondern beschreibt und kommentiert, was er durch den Sucher sieht und reflektiert gleichzeitig auf sehr persönliche Weise das aktuelle politische Weltgeschehen zum Entstehungszeitpunkt. Smiths ‚Tagebuch‘ umspannt auf diese Weise einen Zeitraum von sechs Jahren, auch wenn die acht ‚Einträge‘ unregelmäßig erfolgen. Zu den Stationen zählen Hotels in Cork, Berlin, Winterthur, Bristol, Rotterdam und Bethlehem. Einige dieser Städte besucht Smith mehrfach, nie aber dasselbe Hotel. Während Ort und Datum der Aufnahmen als Abspann eingeblendet werden, nehmen die Titel der Episoden Bezug auf deren Inhalt. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass Smith Teile des Zyklus schon vor dessen Abschluss in Ausstellungen und auf Festivals zeigte. Auch heute noch werden die Videos bisweilen einzeln oder für die große Leinwand zu einem Film kombiniert gezeigt, in der Regel jedoch als Videoinstallation auf sieben Bildschirmen präsentiert.

Bei allen Teilen der Serie handelt es sich ausnahmslos um Single-Take-Videos, die der Künstler meist nachts mit der Handkamera und bei vorhandenem Licht selbst aufzeichnet, während er den Kommentar live einspricht. Smith kommt dabei fast vollständig ohne Schnitte aus. Nur einmal verbindet er Aufnahmen aus zwei unterschiedlichen Hotels im selben Ort durch einen einzelnen Schnitt (Dirty Pictures) und dokumentiert so seinen Umzug. Im Fall von Pyramids/Skunk hingegen handelt es sich um zwei eigenständige Episoden, die – beide in Rotterdam aber im Abstand von genau einem Jahr aufgenommen – immer gemeinsam präsentiert werden. Menschen tauchen neben Smith in den Videos nur sehr selten und mittelbar im Fernsehbild auf. Aber auch er selbst kommt ausschließlich in der Reflektion von Spiegeln, Fenstern oder verglasten Bilderrahmen ins Bild. Zu sehen ist bis auf wenige Ausnahmen allein das Innere des jeweiligen Hotelzimmers. Einmal dehnt der Künstler seine Erkundung auf den Hotelflur aus (Museum Piece) und durchbricht ein anderes Mal das Konzept der Serie mit einem Blick aus dem Fenster (Dirty Pictures). Beides stellt eine Singularität dar.

Die Verbindung zum Außen ist in den Hotel Diaries nicht die Bildebene, sondern der gesprochene Kommentar. Diesem entnehmen wir, neben Smiths immer wieder aus- und abschweifenden Beschreibungen und Assoziationen zum Interieur des jeweiligen Zimmers, auch knappe Informationen zur Lage des Hotels und zum Kontext des Aufenthalts. Den roten Faden des Voice-Overs und die thematische Klammer der sieben Episoden bilden Smiths subjektives Erleben des Nahostkonflikts und des vermeintlichen War on Terror in Afghanistan und Irak. Sein Interesse gilt dabei insbesondere der britischen Beteiligung an und Rolle in diesen Konflikten. Ausgehend vom ersten Video (Frozen War), in dem der Künstler am 8. Oktober 2001 den Beginn der Luftangriffe auf Ziele in Afghanistan durch amerikanische und britische Streitkräfte kommentiert, dokumentiert die Serie die zentralen Ereignisse der Ära von Bush und Blair auf sehr intime Weise in den subjektiven Reaktionen des Künstlers. Während Krieg und Gewalt konsequent off-screen bleiben, imaginiert Smith ausgehend von einem eingefrorenen Fernsehbild ein Bombardement Londons (Frozen War), reflektiert vor dem Hintergrund eines Berliner Hotels über die gefährliche Verquickung der Kritik an israelischer Regierung und antisemitischen Ressentiments (Museum Piece) und nimmt den Tod Jassir Arafats zum Anlass für eine ebenso persönliche wie analytische Reise durch die Jahre seit 9/11 (Throwing Stones). Mühelos gelangt er von einem dekorativen Stich an der Wand auf das Grauen von Abu Guhraib (B&B), bringt den Verlust eines Zahns mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung (Pyramids / Skunk) oder nutzt die Inneneinrichtung eines Hotelzimmers, um den alltäglichen Wahnsinn an Checkpoints zwischen Ost- und Westjerusalem erfahrbar zu machen.

Das Gravitationszentrum der Hotel Diaries bildet jedoch weder das politische Element, noch das formale Prinzip der Serie, sondern die Hotelzimmer. Sie sind hier nicht nur Gegenstand der Exploration und Dokumentation oder fungieren allein als Bühne und Projektionsfläche. Vielmehr scheinen die Räume eine genuine künstlerische und reflexive Praxis zu prägen, die Form und Inhalt der Serie bestimmt.

Es ist dieses Wirksam-Werden, das Wayne Koestenbaum von einem hotelspezifischen Modus des Denkens, einem Hotel-Bewusstsein sprechen lässt. 22Vgl. Koestenbaum, Wayne: Hotel Theory, New York 2007, u.a. S. 24 u. S. 82. In seinem Buch Hotel Theory geht der amerikanische Schriftsteller, Poet und Kritiker in zwei parallel laufenden Texten dem Hotel als Lebensweise und Daseinsform, als Zustand, Eigenschaft und Praxis nach. Während die fiktionale Erzählung unter vollständigem Verzicht auf bestimmte und unbestimmte Artikel ein gemeinsames Hotel-Dasein von Liberace und Lana Turner im Stil eines Groschenromans imaginiert, dokumentiert der Essay die Präsenz des Hotels in Literatur, Musik, Film, Kunst und Philosophie und spürt dessen Bedeutungen quer durch die Kulturgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart nach. Das Resultat ist weder eine systematische Aufarbeitung des Themas noch eine konzise Theorie des Hotels, hält aber eine Vielzahl gängiger, abweichender, teils widersprüchlicher Beschreibungen, Definitionen und Interpretationen des Gegenstandes bereit, die dabei helfen, dessen besondere Rolle und Wirken in John Smiths Hotel Diaries näher zu beleuchten.

So erfährt schon der Titel des Videozyklus eine interessante Verschiebung und Öffnung, wenn man das Wort „Hotel“, wie Koestenbaum vorschlägt, nicht als Substantiv, sondern als Adjektiv behandelt. 33Ebd. S. 81f. Als Eigenschaftswort bezeichnet „Hotel“ eine spezifische Färbung des Genres (Video-)Tagebuch und eine besondere Art, ein solches zu verfassen, die von den Charakteristika dieses Raums geprägt ist. Insofern handelt es sich bei den Hotel Diaries nicht bloß um die selbstzeugnerische Dokumentation der Erlebnisse und Gedanken eines viel reisenden Videokünstlers in verschiedenen Hotels. Wir haben es vielmehr mit einer hotelspezifischen Perspektivierung von Erleben und Denken zu tun, die hier in Tagebuchform dokumentiert wird. Was also macht ein Hotel aus?

Im Hotel zu sein bedeutet, wie Wayne Koestenbaum feststellt, zunächst einmal nicht zuhause zu sein. 44Vgl. ebd. S. 6. So banal diese Aussage auf den ersten Blick wirkt, verweist sie doch auf ein zentrales Merkmal des Hotels, das auch für den Videozyklus von John Smith von entscheidender Bedeutung ist: die Distanz zum Vertrauten, Gewohnten und Bekannten, welche der Differenz zwischen Heim und Hotel entspringt. In den Hotel Diaries ist diese Distanz Thema, Methode und Merkmal zugleich. So kennzeichnet sie das künstlerisch-filmische Verfahren der Serie beispielsweise gleich in mehrfacher Hinsicht. Mit dem Einzug ins Hotel verlässt Smith nicht nur faktisch seine heimatlichen Gefilde, die angefangen mit seiner Heimstadt, seinem Viertel und seiner Straße über die eigene Wohnung und den Lieblingspub bis hin zu dessen Toilette in so vielen seiner Filme als Schauplatz dienen. Er entfernt sich auch von seiner etablierten Praxis, die explizit Objekte, Orte und Beobachtungen aus seinem persönlichen Umfeld zum Ausgangspunkt filmischer Exploration und Alteration macht. Nicht mehr das Vertraute wird hier dem neugierigen, geradezu inquisitorischen Blick eines_r Fremden unterzogen, der im Altbekanntem Neues und Fremdes entdeckt, sondern wechselnde Hotelzimmer, die per se immer neu und immer fremd sind: „One can never understand a hotel room. One can only be curious about it“, wie Hotel Theory besagt. 55Ebd. S. 39.

Mit dem Verlassen der permanenten Residenz des Heims und dem Eintritt in den temporären Aufenthaltsstatus des Hotels gewinnen aber auch Unmittelbarkeit und Spontanität an Bedeutung. Die Sinnproduktion verlagert sich vom Schneideraum direkt ans Set. An die Stelle des aufwendigen und langwierigen Prozesses der Bild- und Tonmontage tritt die fluide Performanz von Kameraarbeit und live eingesprochenem Kommentar. Das fortwährende Mäandern zwischen ästhetischem Urteil, biographischer Anekdote und politischem Geschehen erweist sich mit Blick auf Hotel Theory als ebenso hotelspezifisch wie das rastlose Umherschweifen von Kamera und Blick: „To be in a Hotel is to float… Hotel is a method of ‘not staying’. Curious, we stray; we enter the euphoric state of ‘never dwelling anywhere‘.“ 66Ebd. S. 7.

Die Distanz zwischen Heim und Hotel spricht auch aus dem Voice-Over des Videozyklus. Smith reflektiert im selben zurückgenommenen, nachdenklichen Tonfall über die menschenverachtende und zynische Politik seiner Regierung wie über das Arrangement der Minibar. Seine warme, vertraute Stimme, die mit ihrer unangestrengten Präsenz und ihrem selbstironischen Humor so viele seiner Filme kennzeichnet, wirkt hier fast schon abgeklärt, wie losgelöst von der Welt, über deren dringlichste Probleme und Krisen sie spricht. Wayne Koestenbaum zufolge, handelt es sich um einen hotelspezifischen Modus des Sprechens: „not at home, I’m speaking in hotel mode, detached, but happy with my contingent (SRO) location.“ 77Ebd. S. 23. In diesem besonderen Sprechmodus manifestiert sich jedoch nicht nur die Entfernung vom Bekanntem und Vertrautem des Zuhauses. Er verleiht auch einer Distanz und Abgeschlossenheit der Single-Room-Occupancy (SRO) gegenüber der Außenwelt Ausdruck. „Hotels lend themselves to fugue states – to fits of dissociation and disembodiment.“ 88Ebd. Neben der monologischen und autokommunikativen Struktur der Sprechakte macht sich das in den Hotel Diaries auch auf visueller Ebene bemerkbar: etwa in den Vorhängen, die immer wieder die Sicht nach draußen verwehren, und dem Blick aus dem Fenster, der doch nur an der Mauer gegenüber endet (Dirty Pictures) aber auch in der generellen Menschenleere der Videos.

Der hermetische Charakter des Hotelzimmers ist Merkmal und Bedingung der besonderen Sprech- und Denkposition der Hotel Diaries zugleich. Erst die Abschottung gegenüber der unmittelbaren Umgebung, das temporäre Verstummen und Verharren der Welt, paradigmatisch exemplifiziert im eingefrorenen Fernsehbild von Frozen War, machen die unmittelbare Verquickung von dokumentarischem Zeigen, assoziativem Denken und persönlichem Sprechen möglich, die die Videos kennzeichnet. Die festgelegte Struktur des Hotelzimmers erzwingt die Passivität seiner Bewohner_innen. 99Vgl. ebd. S. 51. Zurückgeworfen auf sich selbst, beginnt der Geist zu kreisen: „’essay’ as a mode of idle speech, directionless thinking – belong to the domain of hotel consciousness.“ 1010Ebd. S. 76. In der Beschränkung auf den abgeschlossenen Raum des Hotelzimmers verlagert sich die Aufmerksamkeit auf die Details, in welche es Bedeutung zu legen gilt. „A hotel room comes disguised as a nonsensical abstract pattern of hieroglyphs“ 1111Ebd. S. 78., schreibt Wayne Koestenbaum, wie im direkten Bezug auf John Smiths Versuche in einem Kofferständer (Frozen War) oder den dekorativen Stichen aus B&B Sinn zu entdecken. Gleichzeitig machen die Uniformität und Austauschbarkeit diesen Raumtypus zu einer idealen Projektionsfläche, einem flexiblen Assoziationsfeld, das sich etwa in Dirty Pictures angeleitet von der Schilderung des Künstlers in einen israelischen Checkpoint verwandelt. In unserer Vorstellung wird eine offene Schranktür zum Drehkreuz, das Regal, auf dem Smiths Koffer liegt, zum Gepäckband und seine Schuhe zu denen einer alten Palästinenserin, deren Mühsal er beim Überqueren der Grenze beobachtet hat: „hotels carry some individual significance but not to much; they retain anonymity.“ 1212Ebd. S. 23.

Es ist diese Kombination aus Unbestimmtheit, Anonymität und Distanz, die das Hotelzimmer für John Smith zum idealen Denk- und Erfahrungsraum machen: In ihm begegnen wir in den Hotel Diaries dem räumlichen Pendant unserer eigenen Entkopplung von den Kriegen und der Gewalt, die wir mit verantworten, wirken sie doch in der medialen Vermittlung unserer Fernsehgeräte ebenso fern und unwirklich wie die Außenwelt aus dem künstlichen Kokon des Hotelzimmers. Dessen Unbestimmtheit, Anonymität und Distanz erlauben es dem Künstler aber auch zu zeigen, wie sich immer wieder und von jedem noch so belanglosen Gegenstand eine Brücke nach ‚da draußen‘ schlagen lässt.

 

    Fußnoten

  • 1Hotel Diaries (2001-07) Serie von sieben SD-Video-Arbeiten, 82 min, Farbe, Ton: Frozen War (Irland, 8. Oktober 2001, 11 min.); Museum Piece (Deutschland, 14. Oktober 2004, 12 min.); Throwing Stones (Schweiz, 13. November 2004, 11 min.); B & B (Großbritannien, 26 November 2005, 6. min); Pyramids / Skunk (Niederlande, 29 Januar 2006 / 29 Januar 2007, 17 min), Dirty Pictures (Palästina, 15./16. April 2007); Six Years Later (Irland, 20 Oktober 2007, 9 min.
  • 2Vgl. Koestenbaum, Wayne: Hotel Theory, New York 2007, u.a. S. 24 u. S. 82.
  • 3Ebd. S. 81f.
  • 4Vgl. ebd. S. 6.
  • 5Ebd. S. 39.
  • 6Ebd. S. 7.
  • 7Ebd. S. 23.
  • 8Ebd.
  • 9Vgl. ebd. S. 51.
  • 10Ebd. S. 76.
  • 11Ebd. S. 78.
  • 12Ebd. S. 23.
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