anleiten

Ausgabe #10
Mai 2021
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Themen des Texts

anleiten

Eine Unterhaltung über die Kunst des Anleitens und das Ausüben von Anleitungen; mit einem Abstecher ins Programm der dritten Fernsehkanäle zu Vormachguru Bob Ross und dann noch zu Einblicken in eine aktuelle Sammelleidenschaft zum Thema Aufgabenstellungen und vermutlich ohne zu antworten: Lässt sich Kunst anleiten oder ist es gar (k)eine Kunst? 

Monica Bella Ullmann-Broner, Übung „Blau vor – Gelb zurück“ aus dem Unterricht Josef Albers am Bauhaus Dessau 1929, Bauhaus-Archiv Berlin, Foto: Markus Hawlik#

Blau vor – Gelb zurück … steht auf einem mit Schreibmaschine beschrifteten Papierstreifen, der auf das Passepartout einer Papiercollage aufgeklebt ist. So liegt das Blatt mit einer in kräftigem gelb und blau ineinander-geschlungenen kreisförmigen Spirale in der Sammlung des Bauhaus-Archivs. Soll das der Titel sein für die Studienarbeit von Monica Bella Ullmann-Broner? Ullmann war eine Bauhaus-Studentin mit bewegter Biografie. Sie hat in der Textilklasse am Bauhaus studiert und ist 1936 ins Exil gegangen. In Hollywood arbeitete sie eine Zeitlang als Filmausstatterin, unter anderem in New York als Textildesignerin.

Irgendwann war diese Arbeit auf Papier vielleicht ausgestellt und benötigte einen Titel, weil es dadurch zum Werk wird. Ullmanns Arbeiten waren zum Beispiel 1938 in einer Bauhaus-Retrospektive am Museum of Modern Art ausgestellt. „Blau vor – Gelb zurück“. Das lese ich aber nicht als Titelschild. Ich nehme es für eine Anleitung.

Josef Albers. Künstler und Lehrender an der Schule für Gestaltung namens Bauhaus tritt 1929 vor seine Studierenden – unter ihnen Monica Bella Ullmann-Broner – in ihrem ersten Studienjahr. „Ihre Aufgabe heute mit Papier, Farbe, Schere; Farbmischen ist verboten. Eine Farbe tritt vor – eine Farbe zurück. Und bitte…“ So imaginiere ich das.

Was Albers Jahre später an Kunst-Schulen in den USA am Black Mountain College und in Yale zu einer „Interaction of Colour“-Farbtheorie verfeinert und in Buchform veröffentlicht hat, dafür legt er am Bauhaus die Basis. Albers hat zeitlebens die Wahrnehmung und Wirkung von Farbe auf Farbe umgetrieben. Das schöne Stakkato: „Blau vor – Gelb zurück“ könnte ein nachträglicher Werktitel aber genauso gut auch eine Aufgabenstellung für eine Farbenübung gewesen sein. Ob die Künstlerin selbst, ob ein Kurator die Schreibmaschine angeworfen hat – weiß ich nicht. Wissenslücken halten mich aber nicht davon ab, diese Wortfolge in eine Sammlung von Bauhaus-Aufgabenstellungen einzuspeisen.

Zusammen mit meiner Kollegin Friederike Holländer vom Bauhaus-Archiv und mit Carina Kitzenmaier betreiben wir ein Sachensuchprojekt. Wir arbeiten an einer – „Anleitungsdatenbank“- das ist noch ein etwas sperriger Arbeitstitel. Wir durchsuchen die große Sammlung des Bauhaus-Archivs nach Aufgabenstellungen. Das ist zunächst einmal ein recht schlichtes Unterfangen. Beschriftungen, Mitschriften aus dem Unterricht, aber auch die Kunst selbst betrachten wir als „Lösungen“ von Aufgabenstellungen, aus denen sich Anleitungen spekulieren und re-konstruieren lassen. Wir haben bisher etwa 100 Übungen eingesammelt: Akt zeichnen, Mörtel mischen, Quadratur, analytisches Zeichnen, Atemstenogramm, Blau vor – gelb zurück. Wir belegen unsere Schnipsel mit Verweisen auf Fundorte und wir vergeben neue Namen für Übungen, von denen wir nur die Lösungen kennen oder Umschreibungen: Wie: Semesterarbeiten ausstellen, Gruppenkritik üben, Probewohnen, Einfamilienhaus entwerfen, Pantheon analysieren. Ausgehend von der Sammlung werden wir Verbindungen der Anleitungsgeschichte(n) erforschen. Übungen sind fluide. Da sie der Kunsthistorisierung nichts groß waren und auch nicht von der Rezeptionsmaschine zum Bauhaus aufgeladen oder zerstäubt wurden, gibt es keine Anleitungsforschung. Was Studierende am Bauhaus geübt haben, unterrichten sie später als Lehrende an Werkkunstschulen. Was Lehrende am Bauhaus unterrichtet haben, kannten sie aus ihren Ausbildungen. Die Arten der Bauhaus-Übungen sind disparat wie das überlieferte Material: nichts hat Methode, sondern jeder Lehrende sein eigenartiges idiosynkratisches Vorgehen. Von Bauhauslehrer László Moholy-Nagy kenne ich keine systematischen Unterrichtsnotizen – von Paul Klee gibt es dagegen rund 35.000 Blatt Aufzeichnungen  (sie liegen im Paul Klee Zentrum in Bern.)

 

Anleitungskunst und Kunst der Anleitung

Das Anleiten, hat schwarz und weiß formuliert in der Gegenwart zwei populäre Hauptausprägungen von Kunstpraxis und -Theorie hervorgebracht: Es gibt erstens: Konzeptkunst und Aktionskunst. Das ist eine Kunst der Anleitung auf dem Spielfeld der Kunst, das ich nur andeuten mag. Am Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ hat Marina Gerber mit „Empty Action: Labour and Free Time in the Art of Collective Actions“ eine Dissertation geschrieben über ein Künstlerkollektiv, das Handlungen bzw. Nicht-Handeln performierte. Gäste wurden eingeladen, sie gehörten als Mitspieler zu den Aktionen gerade ohne zugängliche Gebrauchsanweisung, was wie wann von Statten geht. Gerbers Ineinanderdenken von Handlungen in Arbeit und Freizeit und auch die Analyse der Dokumentationsverfahren von Kunst als Aktion – im speziellen Kontext der Sowjetunion in den 1960er Jahren – haben das Denken meiner handlungsgetriebenen Beforschung von Kunst inspiriert.

Neben diesem künstlerischen Feld der Aktionen gibt es quasi das B-Movie der Anleitungskunst. Bob Ross ist mein Lieblingskünstler auf diesem Gebiet. Das kann ich nur so sagen: Lieblings… Denn die Verbindungen mit dem Genre können von der Sache wegen weniger sachlich als emotional sein. Man ist nicht Bob Ross-Theoretikerin, sondern Fan. Bob Ross ist ein Mal-Meister, der die „wet-in-wet-oil-painting-Technik von seinem Fernseh-Unterhaltungsmaler-Vorgänger Bill Alexander abgeschaut hat. Ross Sohn hat die Anleitungskunst nach dem Tod seines Vaters weiterperformt in Videos und Fernseh-Sendungen mit dem Titel „The Joy of painting“. Der Bob Ross YouTube-Kanal hat fast 5 Millionen Abonnent*innen. Auf YouTube präsentiert sich wiederum auch ein play along-Genre: Fans filmen sich dabei wie sie Bob Ross Anleitungen simultan umsetzen und beim Bilder-malen scheitern. Ross sagt: „Its so easy“ und jeder versehentliche Pinselstrich sei nur ein „happy little accident“; doch sein Tun entlarvt sich beim Nach-Machen in seiner ganzen Raffinesse. Die Follower sind einerseits in den meisten Fällen vermutlich entlastet durch den guten Job, den Ross beim Malen macht, und müssen es daher nicht selbst tun. Doch andererseits gibt es auch eine Menge Menschen, die nach der Methode als Bob Ross- Instructor tätig sind (angeblich über 3000 halten ein solches Zertifikat).

„Where are the Bob Ross Paintings?“ war 2019 ein Artikel in der New York Times überschrieben. Der Artikel löst das Rätsel eines der Zitat „internet’s favorite little mysteries“. Bob Ross hat nicht allein die Technik seines Lehrers reproduziert, sondern sich selbst immer während kopiert. Es müssen Tausende von Landschaftsgemälden existieren. Alle Bilder gibt es mindestens dreifach, behauptet die Times. Bob Ross wird auch für seine Originale geschätzt, Ross erreicht sechsstellige Summen im Kunsthandel; mit einer Kunst deren Originalität auf der Kunst der Nachmachbarkeit beruht. Die Herstellung der Gemälde wurde seit den 1970er Jahren in hunderten von 30-Minütigen Videos in Szene gesetzt. Bob Ross ist insofern kein Künstler, der Gemälde herstellt, sondern ein Performer, der eine Anleitungskunst betreibt. Einige Bob Ross Gemälde befinden sich seit 2019 – un-ausgestellt – zusammen mit einer Sammlung von Fanpost im Smithsonian Museum of American Art. Gemälde und die Reaktionen der Fans gehören unbedingt zusammen.

Diese populäre Seite des künstlerischen Anleitens möchte ich deswegen erwähnen, weil die Bekanntheit von Ross, ein bisschen analog wie seine überdeutlichen Bildwelten, mir als ein gutes Fallbeispiel für die Ab- und Hinwendungen zum Thema des Anleitens erscheint. Die populären Anleiter sind freundliche Unterhalter. Ist Anleiten was für Übermüdete oder Entspannungssuchende, für Amateure oder Fans?

 

Du musst begabt sein

Auf den Webseiten, die aktuell über die Aufnahmeverfahren an der Universität der Künste Auskunft geben, fällt der Begriff „Künstlerische Begabung“. Begabt sein ist eine Zugangshürde, die zu nehmen ist. Auch am Bauhaus war das Voraussetzung. Dazu gehörte aber auch Vor-wissen und Vor-erfahrung. Etwa eine künstlerische Ausbildung oder ein handwerklicher Abschluss waren willkommen. Josef Albers kam beispielsweise als voll ausgebildeter Künstler und durchlief am Bauhaus als erstes den Grundlagenkurs. Angesichts des „Du musst begabt sein“ hat(te) das Anleiten jedenfalls keinen so leichten Stand.

Das Graduiertenkolleg das Wissen der Künste trat 2012 seinen Dienst an mit einer Besetzung aus den so genannten Kunst-Wissenschaften und den Kunst-Pädagogiken. Verben scheinen mir ein wunderbares Werkzeug, um zum Abschluss der Unternehmung damit anzufangen, dem Wissen der Künste beizukommen und ein Gebiet zu erschließen, dass Pädagogiken, Kunstpraxis und Theorie miteinander teilen oder auch voneinander differenzieren. „Das Wissen der Künste ist ein Verb“ betrachtet, und das finde ich so bestechend, Wissen kulturtechnisch. Tunwörter breiten sich aus, wo zwischen Begabung und Kunstwerk eine terra incognita liegt. Handlungsweisen können durch Handlungsanweisungen initiiert und begleitet werden.

Wir versuchen uns mit der Anleitungsdatenbank weder am einen noch am anderen abzuarbeiten, Aktionskunst versus Pop, Wissen versus Vermittlung, sondern zeigen uns möglichst unbeeindruckt von Bewertungen. Mich interessieren die Verknüpfungsarten zwischen Lehrenden und Lernenden, die durch Anleitungen und Aufgabenstellungen angestiftet werden können und mich interessiert die Frage wie sie das tun: über präzise formulierte Imperative, die zugleich den Ausgang offen lassen bis zur akribischen Gebrauchsanweisung oder einem follow along. Anleiten ist eine Aufgabe von Lehre und Vermittlung und Anleitungskunst zugleich.

Das Handeln anzutreiben. Die Kunst der Anleitung auszubreiten. Ein Bewusstsein zu schaffen für Anleitungskünste. Darin sehe ich einen Auftrag für Bildungsinstitutionen, zu denen das Bauhaus-Archiv als Museum gehört. Wie machen wir das? Wie fangen wir an? Das wird eine unsere Fragen sein, um uns ab Sommer 2021 mit Lehrenden zu vernetzen und Lehrende und Lernende einzuladen, an unserem Projekt zu partizipieren. Bekannt geworden ist das Bauhaus mit dem Vorkurs. Einer nicht systematisch betriebenen Grundlagenausbildung für Künstler*innen. Damit haben wir schon angefangen…

 

Anfangen – und damit höre ich dann auch gleich auf

„Loch im Papier“ – war eine Übung aus dem Vorkurs von Josef Albers. Erinnert vom Bauhausstudenten Hans Fischli. Die Fundstelle zur Übung bietet dazu keinen erläuternden Kontext an: Loch im Papier wurde unterrichtet.

Als wir mit dem Sammeln für die Anleitungsdatenbank anfangen, erzählt uns Jens Wunderling von Syntop, Berliner Medienkünstlern, mit denen wir das Projekt zusammen erarbeiten von einer Anfangsübung. Ich stelle mir vor, so weit auseinander dürfen sie liegen, die Übungen der zukünftigen Anleitungsdatenbank.

Bohren Sie mit einem Stift ein Loch in ein Blatt Papier.
Halten Sie das Papier am ausgestreckten Arm vor Ihr Gesicht.
Fixieren Sie den Blick durch das Loch.
Führen Sie das Papier langsam zum Auge heran.

Sie werden instinktiv das Papier an eines Ihrer Augen herangeführt haben und damit herausgefunden haben, welches das stärkere ist.

Nun wissen Sie etwas über den Anfang der Kunst des Bogenschießens. Und wir schlagen mal nach, ob Albers irgendwo Bogen geschossen hat…
Danke fürs Zuhören

 

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