choreographieren

Ausgabe #10
Mai 2021
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In einem erweiterten Verständnis scheint „choreographieren“ auf eine Kunstfertigkeit zu verweisen, Körper, Dinge und Medien raum-zeitlich in Kräftefelder von Bewegungsartikulationen zu bringen und miteinander zu vermitteln. Keineswegs mit der Tätigkeit eines*r Choreograph*in identifiziert, verwebt Choreographieren Heterogenes und schafft damit Beziehungsgefüge von Bewegungen, die seit geraumer Zeit nahezu überall am Werke zu sein scheinen. Was hat es damit auf sich? 

Choreographieren verweist auf eine spezifische Kunstfertigkeit, die landläufig von Tänzer*innen und Choreograph*innen ausgeübt wird. In ihrem Tun versammelt sich ein Wissen und die Kunstfertigkeit, Körper in Raum/Zeiten zu arrangieren, ihre Positionen und Schritte zu bestimmen und zu entwerfen. Choreographieren bedeutet, Tänze zu kreieren, sie zu vermitteln und als Choreographien zu tradieren. Sonach kommt Choreographieren mit einer ästhetisch komplexen Wissenspraxis überein, die historisch betrachtet primär mit der Person eines Choreographen identifiziert ist.

Abb. 1: Louis-Guillaume Pécour, Kupferstich von François Chéreau nach einem Gemälde von Robert Tourniere (1729).
 »Louis Pécour«. Jerome Robbins Dance Division, The New York Public Library: New York Public Library Digital Collections. Bereitgestellt am 24. Juni 2019. http://digitalcollections.nypl.org/items/a01ac8b0-1457-0133-2a29-58d385a7bbd0

Ihm oblag die Aufgabe und die Kompetenz, Tänze über Notationen zu entwickeln, sie an Tänzer*innen zu lehren und ausgehend vom 18. Jahrhundert als Handlungsgeschehen theatral zu entwerfen. Choreographieren bedeutet in diesem Sinne also das Entwickeln, Entwerfen, Vermitteln, Tradieren und Realisieren von Tänzen als Darbietung, wobei es allein Choreograph*innen sind, die Tänzer*innen anleiten, ihre Körperbewegungen organisieren und sie als theatrales Geschehen sichtbar machen. Choreographieren trägt somit eine Geschichte seiner Aufschreibesysteme und eine Geschichte einer subjektzentrierten theatralen Entwurfspraktik. 

Genealogisch faltet Choreographieren zwei griechische Begriffe auf: chorós, Tanz und Tanzplatz, oder im Sinne von choreia die Synthese von Tanz, Rhythmus und vokaler Harmonie – und graphós, gráphein, Schreiben, ursprünglich im Sinne von Ritzen. Bedenkt man ergänzend die in dem griechischen Wortstamm von Choros χορός aufbewahrten etymologischen Schichtungen, die als begrifflicher Horizont von Choreographie den Ort, gleichermaßen wie Akteur, Regie und Praxis benennen, so fächert Choreographieren eine komplexe praxeologische Dimension auf. Choreographieren kommt mit Tätigkeiten überein, die eine performative Verflechtung zwischen Raum und Körper bewirken, angeleitet durch Praktiken des Direktiven. Choreographieren bedeutet demnach, bewegungsqualitative Beziehungen zwischen Körpern/Akteuren im Raum durch spezifische Formen und Praktiken des Anleitens zu schaffen.

Abb. 2: William Forsythe: Untitled Instructional Series, Installation im öffentlichen Raum, Tanz im August 2020 © Sabine Huschka

Wenn im Laufe des 20. Jahrhunderts Choreographieren ausdrücklich mit dem Kreieren eines elaborierten körperlichen Bewegungsspektrums identifiziert wird, so geht jene ästhetische Arbeit am Körper-als-Bewegungsgeschehen dennoch unmissverständlich aus dem Wissen des/der Choreograph*in hervor. Erst in den 1960er Jahren, mit der Ära des Postmodern Dance, wandelt sich durch kooperative Arbeitsprozessen das Verhältnis zwischen Tänzer*innen und Choreograph*innen, die sich als Moderator*innen begreifen. Choreographieren vermittelt hier ästhetisches Wissen zwischen Tänzer*in und Choreograph*in.

Jene in ihrer Vielfalt an ästhetischen Praktiken verankerte Kunstfertigkeit des Choreographierens hat sich begrifflich in den letzten Jahren bemerkenswert verschoben. Längst sprechen nicht mehr nur Tanzkünstler*innen oder Choreograph*innen von ihrem Tun als Choreographieren. Vielmehr hat die Rede von Choreographie Einzug gehalten in unterschiedlichste kulturelle, gesellschaftliche, wissenschaftliche und philosophische Diskurse. Transdisziplinär weiß etwa die Zellbiologie, Stammzellenforschung, Neurowissenschaft oder Philosophie von Choreographien zu berichten und zollt dem Begriff eine spezifisch qualifzierende Dimension. Ob in naturwissenschaftlichen Forschungen zu Zellbewegungen, ob in Studien zur Logistik von Gütern oder über ethische Kontroversen in der Stammzellenforschung oder in der Konfliktforschung, Choreographie wird in all diesen Studien gleichermaßen – so divers ihr Untersuchungsfeld auch sein mag – als Qualifizierungsmerkmal von Bewegungsprozessen benutzt. Egal ob es sich um Zellen, lebende Körper, Dinge oder Objekte handelt. Als Choreographien beschrieben kristallisiert sich eine Bedeutung, die Bewegungsprozesse inmitten unterschiedlichster Akteure generell als gestaltete, formierte Beziehungsgeflechte denkt. Keineswegs mit der Tätigkeit eines/r Choreograph*in identifiziert, erscheint Choreographieren im Licht, unterschiedliche Phänomenbereiche mit mitunter kontrovers operierenden Akteuren zu einem regulierten, kommunikativen, harmonisierenden oder geordneten Gefüge in Bewegung auszubilden. Choreographieren findet seine Form und Bedeutung darin, etwas miteinander in Beziehung zu bringen. Gebildet werden Beziehungsgefüge.

Diskursiv und begrifflich zeitigt CHOREOGRAPHIE11Graphisch unterscheide ich hiermit Choreographien im tänzerischen Bereich mit ihren verkörperten Realisationen und theoretisierten Modellen von anderen disziplinatorischen Bereichen und ihren begrifflichen Reflexionsmodellen von CHOREOGRAPHIE. damit eine bemerkenswerte Faszinationskraft. Bewegungsformationen aller Art – seien es beobachtbar biologische, zelluläre, emotionale, soziale oder technische Phänomene – werden als spezifisch geformte Aushandlungsprozesse zwischen diversen Entitäten begriffen. In Anklang kommt ein Denkmodell von CHOREOGRAPHIE, das die Schaffung dynamischer Ordnungsgefüge zwischen diversen Impulsen, Reizen, Kräften, Interessen und Körpern als spezifische, mitunter kulturelle Leistungen markiert.

Mit dieser radikalen Ausweitung gewinnt CHOREOGRAPHIEREN gleichsam eine transdisziplinäre Dimension und löst sich aus dem ästhetischen Kontext heraus. Die Tätigkeit des Choreographierens erscheint abgelöst von einem eingreifenden oder anleitenden Subjekt und gewinnt die Bedeutung einer geradezu eigentätigen Gestaltungskraft. Das eigenwillige Potential, komplexe wie variable Bewegungsdynamiken zwischen verschiedenartigen Körpern mit je eigenen Kräften und Kraftfeldern als ein geordnetes, sich-ordnendes Gefüge und Beziehungsgeflecht hervorbringen zu können und als ein solches erkennbar zu machen, scheint Choreographieren nunmehr zu qualifizieren. Seine Kunstfertigkeit geht auf in einer Instanz, die Bewegungen zwischen verschiedensten Akteuren vermittelt und zu regulieren versteht. Aus dem historisch verankerten ästhetischen Bereich heraus erweitert, wird Choreographie damit augenfällig als Kulturtechnik thematisch. 

Wie sehr diese kulturtechnische, gleichsam beziehungsstiftende Dimension von CHOREOGRAPHIE, nämlichspezifische Beziehungen zwischen Körpern, Räumen, Dingen und Menschen zu gestalten und in ihren mitunter chaotischen oder bedrohlichen Feldern aus widerstreitenden Kräfte als regulatives Aktions geschehen zu formen, einen Widerhall im Ästhetischen findet, lässt sich an Hand choreographischer Arbeiten in Reaktion auf unsere Lebenswirklichkeiten in der Covid 19 Pandemie nachzeichnen. Choreographieren bedeutet hier die gesellschaftlich eingeführten Akte der Bewegungsbahnung als regulierte Beziehungsgeflechte reflexiv vor Augen zu führen – gleichsam als ästhetische Intervention.

Abb. 3: Alexandra Pirici: Choreographies of past few months (2020), [Auszug Tafel 1]. © Alexandra Pirici

Die Krise macht all jene Regelwerke auffällig, in denen sich unsere Bewegungen bahnen, unser körperliches Miteinander strukturiert ist und dabei letztlich ein altes Wissen über die expansive Dimension des Körpers erneut aufleuchtet.22Gerko Egert spricht angesichts der erlassenen Abstandsregeln, die u.a. durch Forschungen der Professur Bauphysik an der Bauhaus-Universität Weimar über die Verbreitung von Aerosolen beim Husten filmisch in ihrer Notwendigkeit untermauert wurden („Abstand halten! – Wie sich Atemluft beim Husten verbreitet. Ein Experiment derProfessur Bauphysik“URL: https://vimeo.com/399120258 (letzter Zugriff am 13.11.2020), von einem „Aero-Körper“, der in all meinen Bewegungen als „Bewegungswolke“ präsent ist und stets interferierend mit allen anderen Körpern, den Körper als Zirkulation zu denken gibt. Vgl. Egert, Gerko: „Das choreographische Regime Covid-19“. Online-Publikation 2020, URL: https://probehandeln.blog/das-choreographische-regime-covid-19/ (letzter Zugriff am 13.11.2020). Dies Körperwissen findet sich indessen schon in der Antike und vorsokratischen Schrift von Polybos Die Natur des Menschen (um 380 v.Chr.) angelegt. Hiernach ist der Körper, gründend auf der Säfte-Theorie der Humoralpathologie, im steten Austausch mit den Elementen und insbesondere der Luft, die „unter allem und über allem der größte Herr ist. […] Wie unsere Seele, die Luft ist, und uns durch ihre Kraft zusammenhält, so umfasst auch den ganzen Kosmos Hauch (pneuma) und Luft (aer).“ (Diels, Hermann: Fragmente der Vorsokratiker. Kranz, Walter (Hg.): Zürich/Berlin 1964, 13 B 2 (Originalzitat von Diogenes von Apollonia), zit. n. Böhme, Hartmut/ Böhme, Gernot: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München 1996, hier S. 170.

Das Bündnis Internationaler Produktionshäuser, gefördert von der deutschen Bundesregierung, hatte angesichts der durch Covid-19 ausgelösten Krise schon im April 2020 Kunstschaffende weltweit gebeten, die Öffentlichkeit durch „Statements an ihrer aktuellen, individuellen und künstlerischen Situation teilhaben zu lassen“33Artist Statements zur Aktuellen Covid-19-Situation, https://produktionshaeuser.de/voices/ (letzter Zugriff am 15.11.2020).. Seither versammelt eine Website ihre Stimmen. Als eine der ersten Choreograph*innen reagierte am 7. Mai Alexandra Pirici aus Bukarest und veröffentlichte ihre Photoreihe Choreographies of Past few Months. Es sind stillgestellte Bewegungsbilder, die in eine Beziehung zueinander gestellt sind. In Szene gesetzt findet sich ein choreographischer Blick, der dem Arrangieren von Bildern und gerade nicht einer choreographischen Praxis im direkten Umgang mit körperlichen Bewegungen gilt. Das gesammelte Bildmaterial mit insgesamt 35 Photographien wurde von Pirici auf vierzehn ‚Tafeln‘ zusammengestellt, die jeweils auf die aktuellen gesellschaftlichen Situationen von räumlicher Isolation und physischem Abstand Bezug nehmen. Auswahl und Anordnung der Photographienstellen dabei auf mehreren Tafeln menschliche und tierische Körpergruppen gegenüber.

Abb. 4: Alexandra Pirici: Choreographies of past few months (2020), [Auszug Tafel 3]. © Alexandra Pirici

Meist paarig gruppiert finden sich auf den Tafeln zudem Photographien mit graphischen Markierungen, räumlich geordnete Bewegungsabläufe, räumlich gemusterte Gruppierungen von Lebewesen oder isolierte Situierungen Einzelner im offenen endlosen Raum.44Die weiteren Photographien auf den Tafeln 10-14 zeigen eindrückliche Impressionen über die eingeschränkten Handlungsräume in alltäglichen Lebenszusammenhängen, die aus einer Mischung von Humor und Mitgefühl den affektiven Kontext menschlicher Begegnungen widerspiegeln. Der choreographische Blick richtet sich explizit auf die räumlichen Dispositionen von Menschengruppen, in denen sich die gesellschaftlichen Normierungen und politisch eingeübten Regelwerke, wie man sich im öffentlichen Raum bewegen und Kontakte und Beziehungen gestalten darf, widerspiegeln. 

Dabei sind es gerade die spezifischen Anordnungsformen von Körpern in Reihen oder abständig gruppierten Raumorganisationen, die aus der Gegenüberstellung von menschlichen und tierischen Gruppen ihre thematische Brisanz entfalten. 

Abb. 3: Alexandra Pirici: Choreographies of past few months (2020), [Auszug Tafel 1]. © Alexandra Pirici

So liegen die Löwen in einem abständigen Verhältnis zueinander auf dem Asphalt einer Straße und ruhen auf dem willkommen warm aufgeladenen Untergrund. Durch die Gegenüberstellung dieser Aufnahme mit dem Bild einzeln ruhender Menschen – eingehegt in graphisch markierte Vierecke – auf einer ebensolchen Asphaltfläche, oszilliert der friedliche Eindruck schlafender Erdenbewohner – Löwen wie Menschen –, in eine affektive Atmosphäre des Erbärmlichen. Die Geste des Friedlichen von schlafenden Körpern schlägt um in die Geste des Gefangen-Seins von Schutzsuchenden.

Das Zusammenspiel beider Aufnahmen verweist auf den kulturtechnischen Impetus von Choreographien, graphisch markierte Lebensräume zu strukturieren und diese als einen Bahnungs- und Bewegungsraum55Vgl. Böhme, Hartmut: „Choreographie als Kulturtechnik – ein neuer Ansatz in der Kulturtechnik-Forschung?“, in: Huschka, Sabine/ Siegmund, Gerald: Choreographie als Kulturtechnik. Neue Perspektiven, Berlin 2021 (im Erscheinen). zu gestalten. Doch während sich die Löwen allein auf einer Asphaltstraße niedergelassen haben, um diese zeitweise zu bewohnen, erscheinen sie – gleichsam als gezähmte Tiere – eingehegt von einer Kulturlandschaft. In der Momentaufnahme ihrer ruhenden Körper inszeniert sich ein räumliches Ordnungsgefüge, das dennoch nicht ihren gesamten Bewegungsraum und damit jene der Aufnahme vorgelagerten Bewegungsvollzüge der Löwen ausweist. Wie sie dort hingekommen sind und wohin sie sich nach ihrer Ruhepause bewegen werden, bleibt im Bild ausgespart. Der Bahnungsraum ‚Straße‘ ragt allein als kurzer zeitlicher Schnitt in das Kräftefeld ihrer animalischen Bewegungswelt hinein. Erst das dergestalt geronnene Bewegungsbild erweckt durch dessen Gegenüberstellung mit einer ähnlichen Raumstruktur schlafender Menschen den Eindruck eines choreographischen Aktes, ein Eindruck, der sich dem choreographischen Arrangement der Bilder von Alexandra Pirici verdankt.

Der Photographie der einen Schlafplatz suchenden Schutzsuchenden wohnt vor allem eine Geste der Bedrohung inne, aufgehoben in der kartographischen Aufteilung der Asphaltfläche. Sichtbar wird ein sozial bedrohliches Regelwerk, das die Menschen in einen definierten Umraum einfügt. Der graphisch markierte Bahnungsraum weist ihnen einen Bewegungsraum zu, der mit dem Verbot versehen ist, die Grenzmarkierungen zu überschreiten, ein Regelwerk, das die Bewegungsfreiheit menschlicher Körper in einen umschlossenen Stillstand zwingt. Angezeigt ist hier tatsächlich ein choreographischer Akt, und zwar ein choreographischer Akt der Einhegung menschlichen Bewegungsverhaltens und ihrer Bewegungsmöglichkeiten, der einer biopolitischen Einhegung von Menschenkörpern gleichkommt.66Kulturtechnisch gelesen findet dieser biopolitische Akt einer graphisch vollzogenen Einhegung eine Analogie in der sicherlich elementarsten und archaischen Kulturtechnik des Ackerbaus. Im Ackerbau bestellt der Pflug nicht allein den Boden, sondern kulturalisiert, teilt und politisiert im Akt der Einritzung die Erde. Der Ackerbau als eine archaische kulturtechnische Praktik vollzieht so mehr als eine Urbanisierung und Homonisierung eines Lebensraums. Angezeigt ist ein Akt des Politischen, durch Gatter oder Pflugscharen eine kulturelle Nutzung von Natur zu erwirken und durch Markierungen Grenzen und Besitz anzuzeigen. Hartmut Böhme, Peter Mattusek und Lothar Müller erinnern zudem daran, „daß ‚Kultur‘ auf lateinisch colere, cultura zurückgeht. In diesem Wortstamm steckt ein eminent technischer Sinn, insofern es allererst um die Entwicklung praktischer Fertigkeiten geht, mit Hilfe deren eine Gesellschaft ihre materielle Reproduktion bewältigt, das meint zunächst die Agrikultur, also die Techniken der Bodenbewirtschaftung und der Bebauung der Erde mit Wohnsitzen und Städten.“ (Böhme, Hartmut/Mattusek, Peter/ Müller, Lothar: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 165. 

Der choreographische Akt der Bild- und Blickordnung von Pirici verweist deutlich auf die innewohnende Machtstruktur von Choreographie, Ordnungen zwischen Körpernförmlich anzulegen. Doch bleiben diese Körper als ästhetischer Akt im Blick des Betrachters rückversichert, der selbst zwischen den Bildern oszillierend in Bewegung gerät. Dies ist die ästhetische Dimension von Choreographieren, vermag sie doch Körper / Blicke in Bewegung zu versetzen!

    Fußnoten

  • 1Graphisch unterscheide ich hiermit Choreographien im tänzerischen Bereich mit ihren verkörperten Realisationen und theoretisierten Modellen von anderen disziplinatorischen Bereichen und ihren begrifflichen Reflexionsmodellen von CHOREOGRAPHIE.
  • 2Gerko Egert spricht angesichts der erlassenen Abstandsregeln, die u.a. durch Forschungen der Professur Bauphysik an der Bauhaus-Universität Weimar über die Verbreitung von Aerosolen beim Husten filmisch in ihrer Notwendigkeit untermauert wurden („Abstand halten! – Wie sich Atemluft beim Husten verbreitet. Ein Experiment derProfessur Bauphysik“URL: https://vimeo.com/399120258 (letzter Zugriff am 13.11.2020), von einem „Aero-Körper“, der in all meinen Bewegungen als „Bewegungswolke“ präsent ist und stets interferierend mit allen anderen Körpern, den Körper als Zirkulation zu denken gibt. Vgl. Egert, Gerko: „Das choreographische Regime Covid-19“. Online-Publikation 2020, URL: https://probehandeln.blog/das-choreographische-regime-covid-19/ (letzter Zugriff am 13.11.2020). Dies Körperwissen findet sich indessen schon in der Antike und vorsokratischen Schrift von Polybos Die Natur des Menschen (um 380 v.Chr.) angelegt. Hiernach ist der Körper, gründend auf der Säfte-Theorie der Humoralpathologie, im steten Austausch mit den Elementen und insbesondere der Luft, die „unter allem und über allem der größte Herr ist. […] Wie unsere Seele, die Luft ist, und uns durch ihre Kraft zusammenhält, so umfasst auch den ganzen Kosmos Hauch (pneuma) und Luft (aer).“ (Diels, Hermann: Fragmente der Vorsokratiker. Kranz, Walter (Hg.): Zürich/Berlin 1964, 13 B 2 (Originalzitat von Diogenes von Apollonia), zit. n. Böhme, Hartmut/ Böhme, Gernot: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente. München 1996, hier S. 170.
  • 3Artist Statements zur Aktuellen Covid-19-Situation, https://produktionshaeuser.de/voices/ (letzter Zugriff am 15.11.2020).
  • 4Die weiteren Photographien auf den Tafeln 10-14 zeigen eindrückliche Impressionen über die eingeschränkten Handlungsräume in alltäglichen Lebenszusammenhängen, die aus einer Mischung von Humor und Mitgefühl den affektiven Kontext menschlicher Begegnungen widerspiegeln.
  • 5Vgl. Böhme, Hartmut: „Choreographie als Kulturtechnik – ein neuer Ansatz in der Kulturtechnik-Forschung?“, in: Huschka, Sabine/ Siegmund, Gerald: Choreographie als Kulturtechnik. Neue Perspektiven, Berlin 2021 (im Erscheinen).
  • 6Kulturtechnisch gelesen findet dieser biopolitische Akt einer graphisch vollzogenen Einhegung eine Analogie in der sicherlich elementarsten und archaischen Kulturtechnik des Ackerbaus. Im Ackerbau bestellt der Pflug nicht allein den Boden, sondern kulturalisiert, teilt und politisiert im Akt der Einritzung die Erde. Der Ackerbau als eine archaische kulturtechnische Praktik vollzieht so mehr als eine Urbanisierung und Homonisierung eines Lebensraums. Angezeigt ist ein Akt des Politischen, durch Gatter oder Pflugscharen eine kulturelle Nutzung von Natur zu erwirken und durch Markierungen Grenzen und Besitz anzuzeigen. Hartmut Böhme, Peter Mattusek und Lothar Müller erinnern zudem daran, „daß ‚Kultur‘ auf lateinisch colere, cultura zurückgeht. In diesem Wortstamm steckt ein eminent technischer Sinn, insofern es allererst um die Entwicklung praktischer Fertigkeiten geht, mit Hilfe deren eine Gesellschaft ihre materielle Reproduktion bewältigt, das meint zunächst die Agrikultur, also die Techniken der Bodenbewirtschaftung und der Bebauung der Erde mit Wohnsitzen und Städten.“ (Böhme, Hartmut/Mattusek, Peter/ Müller, Lothar: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 165.
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