kartieren / mapping

Ausgabe #10
Mai 2021
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Themen des Texts

kartieren / mapping

Kartiert – oder „gemappt“ – wird heute fast alles, wenn man zum Ausdruck bringen möchte, dass Relationen beim Verständnis von Orten oder Sachverhalten eine Rolle spielen. Mentale und materielle Karten sind zum Inbegriff der Vorstellung von Netzwerken geworden, seien sie räumlicher oder anderer Natur. Ausgehend von einer sehr alten Praxis der zweidimensionalen Notation von Gelände, Geschichte und Gesellschaft, lässt sich am Kartieren / Mapping sehr gut beobachten, wie eine Form der (u. a. künstlerischen) Visualisierung von Räumen aller Art Wissensbestände konstruiert. 

Neapel und Umgebung, Antoine Lafréry / Étienne Dupérac, 1566
https://maps.biblhertz.it/map?name=lafreri

Kartieren – oder wie manche sagen – Kartographieren ist heute mehr denn je in aller Munde, denn: ‚Mapping‘ oder auch Kartenerstellung ermöglicht es uns, ganz unterschiedliche komplexe Sachverhalte zweidimensional darzustellen und dadurch besser zu verstehen. Gemapt wird überall – und zugleich können wir uns kaum noch ohne digitale Karten auf unseren Smartphones orientieren.

Mal ehrlich: was haben Sie als Erstes vor Augen, wenn Sie an Mapping denken?

Google Maps?

– den Navigator im Auto?

– Eine Mind-Map, die Ihre Gedanken sortieren kann?– Also das Gekrakel, das uns allen hilft, um Ordnung in vorgefundene Strukturen oder neue Ideen zu bringen?

– eine gezeichnete Karte, wie Sie sie vielleicht in der Kindheit noch bei der Schatzsuche verwendet haben, oder die Sie einer Freundin in die Hand geben, damit sie das Restaurant am Abend findet?

– den guten alten Falk-Stadtplan, der sich immer auseinanderfaltet, wenn man es gerade nicht gebrauchen kann?

– Oder doch eher ein mehr oder weniger wissenschaftliches Verfahren, Daten auszuwerten, die erst über ihre Visualisierung besser zu verstehen sind?

Letztlich ist es egal, ob Sie an topographische oder topologische – also nicht georeferenzierte sondern rein relationale – Karten denken, in jedem Fall dient die Karte dazu, Informationen in einem zweidimensionalen Netz zu verbinden und dadurch ein ganz spezifisches Wissen zu generieren.

Nun werden Sie sich vielleicht fragen, was das denn nun mit Kunst zu tun habe – schließlich sprechen wir hier über das Wissen der Künste …

Genau das möchte ich Ihnen an einem historischen ‚Kartenbild‘ von Neapel erklären, das Sie hier in einer kleinen Auflösung sehen, dass Sie aber viel besser unter der angegebenen Adresse im Internet betrachten können.

Diese Karte oder Ansicht, oder Vogelschau – wie immer Sie es nennen wollen – wurde 1566 gedruckt und ist damit eine sehr frühe so genannte exakte Wiedergabe von Neapel. Der Forschung ist sie sehr gut bekannt – in unserem Zusammenhang aber (der Frage nach dem Wissen der Künste) – möchte ich lediglich darauf eingehen, was so eine Karte leistet – und mit welchen künstlerischen Mitteln sie das tut.

Wir sehen eine Hafenstadt inmitten der sie umgebenden Landschaft. Gleich auf den ersten Blick wird deutlich, dass das eng bebaute eigentliche Stadtbild eher als Karte wiedergegeben wird, während die Umgebung stärker in eine Vogelperspektive gebracht wird, die den Eindruck erweckt, man würde tatsächlich auf diesen Ort schauen. Für Augen des 21. Jahrhunderts wirkt das wie ein Bruch der Repräsentationsmodi – im 16. Jahrhundert war das völlig normal. Keiner hätte sich daran gestört, dass die Landschaft mit Bäumen und Hügeln inszeniert wird, während die befestigte Stadt in ihrer urbanistischen Ordnung gezeigt wird – einer Ordnung, die sich der Geschichte der Stadt verdankt. Leicht kann man das antike Straßenraster samt Befestigung rechts erkennen, während weiter links neue einförmige Viertel dazu gekommen sind.

Rein technisch betrachtet handelt es sich um eine – leider nicht dokumentierte – Vermessung des städtischen Raumes – also eine Karte, die aufzeichnet, wie die Stadt – zunächst einmal zweidimensional – aussah. Um diese Rohdaten für eine solche Ansicht aufzubereiten, wurden besondere Bauten isometrisch (also in einer verbindlichen Perspektive) hochgerechnet, so dass es so scheint, als hätten wir einen einheitlichen Blick auf die wichtigsten Gebäude der Stadt. Selbstverständlich werden dabei einige Proportionen verzerrt, Straßen erscheinen zu breit, Brunnen zu groß – aber es geht ja gerade darum, einzelne Objekte im Stadtraum hervorzuheben.

Die Inschrift der Kartusche erklärt in frühneuzeitlicher Rhetorik, was eine solche Karte bietet – nämlich: Von welcherund welch großer Wichtigkeit (Importanza) und Schönheit (Bellezza) die edle Stadt Neapel sei, soll nicht nur in Italien, sondern in der ganzen Welt bekannt gemacht werden. Für die Adligen und die Gelehrten habe man ihr wahres Porträt (vero ritratto) angefertigt, und zwar mit den Molen, Stadttoren, Kirchen, Adelssitzen, Palästen, Plätzen, Straßen und Brunnen. Die Rede vom ‚wahren Porträt‘ ist sehr aufschlussreich, denn aus der bildenden Kunst wissen wir, dass auch ein gutes Porträt nicht fotorealistische Ähnlichkeitmeint, sondern bewusste Charakterisierung.

Die Aufzählung von einzelnen Teilen der Stadt, welche ihre Besonderheit ausmachen, ist wohl durchdacht, denn sie umschreibt das Stadtbild durch ihre Grenzen zu Küste und Land, und rückt gleichsam in einer Zoom-bewegung avant la lettre immer näher an die Einzelheiten heran. Für moderne Betrachter muss dabei erwähnt werden, dass Brunnen nicht etwa nur Ornamente waren, sondern tatsächlich dazu dienten die Stadtbevölkerung mit Wasser zu versorgen – und somit ein wichtiges Zeichen funktionierenden Gemeinwohls waren.

Abgesehen davon, dass die Karte Neapel in ihrer landschaftlichen und topographischen Lage vor Augen führt, gibt sie ihr eine besondere Ordnung, denn die immerhin 74 Einträge verzeichnende Legende am unteren Rand spiegelt eben jene Reihenfolge, die auch schon in der Kartusche angesprochen wurde. Kaum jemand wird sie der Reihe nach lesen, dennoch würde eine solche Lektüre erlauben, im Abgleich mit den Nummern auf dem Plan nachzuvollziehen, wie die Stadt geordnet ist. Der Blick auf die Legende zeigt aber nicht nur die vordringliche Leistung der Karte, nämlich individuelle Objekte im Raum und in Relation zueinander zu verorten, sondern er macht auch das Problem deutlich, statische Karten zu lesen. Vom Objekt auf der Karte mit seiner Nummer hin zu Legende ist es recht einfach, anders herum, sucht man jedoch oft lange, bis man die Nummer im Straßengewirr gefunden hat.

Mit modernen Mitteln der digitalen Annotation kann man die Karte sehr viel besser erfassen – und daher haben wir an der Bibliotheca Hertziana (Max Planck Institut für Kunstgeschichte in Rom) die in der Legende niedergelegten Informationen mit den einzelnen Objekten verknüpft. In der Gesamtansicht sind durch verschiedene Farben die Bautypen und ihre Verteilung auf den berühmten ersten Blick zu erkennen. Fährt man mit dem Cursor über die eingefärbten Monumente oder Plätze etc. erscheint der Name aus der Legende. Das ist zum einen praktisch, zum anderen macht es aber auch klar, wie viel nicht bezeichnet wurde und wieviel mehr Information das Kartenbild selbst bietet.

Um es plakativ zu formulieren – die Kunst des Kartierens – schon in der Frühen Neuzeit aber auch heute – besteht nicht darin, alles zu zeigen. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man bei google maps auf die Fotos in google earth umschaltet. Alles zu sehen, heißt nämlich auch – eigentlich nichts zu sehen bzw. keine Unterschiede zu machen zwischen den wichtigen und den unwichtigen Dingen. Ein Kartograph muss sehr genau entscheiden, innerhalb welchen Maßstabs er was genau aufzeichnen möchte. Exaktheit wird dabei vorausgesetzt, aber das eigentlich Interessante an topographischen Karten ist, dass sie immer Aussagen treffen … und …. dabei gleichsam den Heiligenschein der neutralen Abbildung vor sich her tragen. 1566 war es noch eine Pionierleistung, ein solch genaues und doch zugespitztes Kartenbild von Neapel zu produzieren – und neben Landvermessern, Zeichnern und Stechern waren daran viele kompetente Künste und Gewerbe beteiligt.

Es ist heilsam, sich heute die ach so interaktive Version Neapels auf Google anzusehen. Hier scheint alles vom Maßstab und den halbwegs aktuellen Fotografien bestimmt. Die Matrix ist heute jedoch nicht mehr jene der Urbanistik oder eines längst entmachteten Adels, der sich an der eigenen Stadt erfreut, sondern vielmehr jene des globalen Kapitalismus, der um die Einträge seiner Geschäfte auf unterschiedlichen Maßstabsebenen zahlt.

Kartieren ist gerade deswegen mit allen technischen Spielchen eine Kunstgeblieben, die nach immer neuen Formen sucht, um die Relationen von Orten, Akteuren und Oberflächen auszutarieren.

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