modellieren

Ausgabe #10
Mai 2021
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Themen des Texts

Modell modellieren

Während es zahlreiche wissenschaftlich-theoretische Untersuchungen zum Modell gibt, findet sich das Modellieren zumeist eher in praktischen Anleitungen für Künstler*innen unterschiedlicher Disziplinen. Der Vortrag versucht sich an Überlegungen zu der produktiven Spannung zwischen dem Verschwimmen von Modell(gegenstand) und der Praxis des Modellierens. 

Während ich diesen Text zunächst im Kopf und schließlich am Computer modelliere, komme ich natürlich nicht umhin, einmal „modellieren Definition“ durch eine Suchmaschine zu jagen.
 
Modellieren
schwaches Verb
 
1a.
(formbares Material) plastisch formen oder gestalten; formend, gestaltend bearbeiten. Zum Beispiel „[das] Wachs modellieren“

1b.
durch Modellieren bilden oder formen.  Zum Beispiel „eine Vase modellieren“

2.
In der Wissenschaft:
von etwas ein Modell herstellen oder bilden. Zum Beispiel “wirtschaftliche Prozesse in einem Computer modellieren“

3.
in bestimmter Weise (besonders in bestimmter Form, Farbe oder Ähnlichem) als Modell gestalten; nach entsprechendem Modell in bestimmter Weise gestalten11Oxford Languages stellt Googles deutsches Wörterbuch zur Verfügung. Daher stammen die Definitionen. URL: https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=modellieren+definition&ie=UTF-8&oe=UTF-8 (letzter Zugriff am 24.4.2021).
 
Man kann also meinen, dass man das Material auf diese Weise bearbeitet, in eine Form bringt: Das ist modellieren. Oder man meint, dass man etwas bildet oder man hat vielleicht ein Vorbild und denkt, man bildet etwas ab. Manchmal hat das Modellieren also rein gar nichts mit einem Gegenstand zu tun, den es im Außen schon gibt und der dem Prozess vorgängig ist. Das Modellieren ist möglicherweise zunächst schlicht das „plastische Formen“, es beschreibt den Prozess der Bearbeitung. Was man mit etwas macht. Und wie.
 
In der analogen künstlerischen Praxis könnte man modellieren so als den Kontakt von zwei (oder mehreren) Materialitäten unter Einwirkung bestimmter Kräfte beschreiben. Haut, Spachtel und Ton unter der Einwirkung von Druck durch Finger und Hände zum Beispiel. Die Literaturrecherche zum Verb „modellieren“ bringt im Allgemeinen eher praktische Anleitungen für Kunststudierende und (selbstdefinierte) Hobby-Bücher mit liebevollen Anregungen zum Modellieren von Tierkörpern und Schmuckanhängern hervor.
 
„Das Modell“ hingegen versammelt eine Vielzahl theoretischer Untersuchungen etwa aus der Philosophie, der Wissenschaftsgeschichte und Data Science.
Wir wollen uns hier an das Verb halten, doch das ist gar nicht so einfach. Wie sich durch die Suchmaschine andeutet und sowohl durch Texte über das Formen von Tierfiguren als auch von Büchern über wissenschaftliche Modelle bestätigt wird: Es ist mal wieder alles verwoben. Wir oszillieren zwischen 1., 2. und 3. Zwischen modellieren und Modell.
Ich bemühe die Suchmaschine so auch zu „Modell Definition“. Die Definitionen sind vielfältiger – zu vielfältig, um sie in Gänze hier einzusprechen – lassen sich aber in zwei grobe Kategorien unterteilen: Zum Einen das vereinfachende, idealisierende Modell als Vorbild oder Abbild von etwas; zum Beispiel in der Mathematik, der Medizin, der Physik. Zum Anderen Vorbilder, Abbilder – und Bilder –, deren eventuell vereinfachende oder idealisierende Qualität sie nicht (allein) ausmacht, konstituiert oder ihre Daseinsberechtigung darstellt. Diese Modelle scheinen wohl meist aus der Kunst zu kommen.22URL: https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=modell+definition&ie=UTF-8&oe=UTF-8 (letzter Zugriff am 24.4.2021). Der Prozess des Modellierens scheint als eigenständiger Betrachtungsgegenstand vor allem dann in den Vordergrund zu treten, wenn das „fertige Modell“ nicht ausschließlich einem Repräsentationsanspruch verpflichtet ist – oder, wenn um eben diesem Anspruch gerecht zu werden, der Prozess verändert werden muss.33Wendler, Reinhard: Das Modell zwischen Kunst und Wissenschaft, München 2013, S.83.
 
Letztlich ist das Modellieren jedoch unabhängig von Kontexten eine explorative Imaginationspraxis. Modellieren hat eine spekulative Qualität; jeder Handgriff, jedes Verschieben stößt ein neues Modell an.44Wendler 2013, S.86–87. Modellieren bedeutet auch die Praxis der „Zwischenmodelle“, die sich im Prozess erheben und am Ufer des nächsten Gedankens brechen. Das wird auch dann im künstlerischen Prozess deutlich, wenn wir etwas nach dem Vorbild eines Modells modellieren, um ein weiteres Modell herzustellen.
 
Modellieren ist so immer Erproben, Ausprobieren und Abstrahieren. Bei maßstabsgetreuen, räumlichen Modellen bedeutet dies etwa ein Abstrahieren von den tatsächlichen Dimensionen eines zu nutzenden Raums. Im verkleinerten Maßstab modelliert man die Möglichkeiten.55Grasskamp, Walter: „Kleinmut – Hinweise zum Modell“, in: Daidalos – Architektur, Kunst, Kultur 26 (1987), S.62–71, hier: S.64. Es wird vereinfachend gearbeitet: Wir vernachlässigen für einen Moment (oder auch für mehrere Momente) die tatsächlichen Ausmaße von etwas, um uns beispielsweise auf seine Proportionen zu konzentrieren.66Dreissigacker, Thomas: „Modellieren“, in: Badura, Jens u. a. (Hg.): Künstlerische Forschung. Ein Handbuch, Berlin 2015, S.181–184, hier: S.183. Modellieren kann so auch kommunizieren bedeuten, denn es veranschaulicht und macht visuell vermittelbar. Modellieren ist dann eine Praxis des Zugänglichmachens, wenn plötzlich umkreist werden kann, was vorher nur von innen heraus oder bruchstückhaft erfahrbar war.
 
Welches Wissen der Künste erschließt sich nun am Verb „modellieren“? Modellieren als künstlerische Praxis in den Blick zu nehmen heißt, die Beziehung zwischen Prozess und Ergebnis zu betrachten und die Verwobenheit beider Positionen zu erkennen.
Wenn wir künstlerische Modellierungsprozesse wie das Arbeiten mit Ton in den Blick nehmen, erschließt sich zunächst Folgendes: Modellieren als künstlerische Praxis geht von einer bildnerischen, gestalterischen – kreativen – Tätigkeit aus. Auch wenn „realistisch“ abbildend gearbeitet wird, wird im Allgemeinen akzeptiert, dass Stil und Stile das Modell mitformen. Der Prozess, ein Modell herzustellen, umfasst weiterhin sowohl die Bearbeitung des Materials wie kneten, formen, schneiden. Außerdem die Bewegung des Materials, die sich zäh, fließend oder weich ausdrücken kann. Und seine (möglicherweise temporäre) Stilllegung etwa durch Trocknen oder Brennen. Aber auch die Auswahl des Materials eines Modells gehört bereits zum Modellierungsprozess. Ein Material kann sich widersetzen und schließlich als so „ungeeignet“ erweisen, dass es ersetzt werden muss. Genauso kann eine unerwartete Widerständigkeit des Materials eine willkommene Devianz darstellen. Und im Umweg etwas komplett Neues schaffen. Entscheidungen, Beschaffenheiten, Aggregatzustände bringen im Prozess des Modellierens als Momentaufnahmen eine ganze Kette unterschiedlicher Modelle hervor. In der künstlerischen Praxis ist das das Suchen nach der Form im Formen. Auch das informiert Herangehensweisen und Ideen. Und gehört dazu, wenn man modelliert. Temperaturen, Umgebungen, Selbstverständnisse, Institutionen werden ebenso einbezogen.77Wendler 2013, S.85. Sie haben Anteil. Modell, modellieren, Modellierbares und Modellierende sind keine klar voneinander abgegrenzten Kategorien. Sie stoßen sich an und bedingen sich.
 
Künstlerisches Wissen um den Prozess löst so nicht nur scheinbar zeitlich klar definierte Anfangs- und Endpunkte der Praktik auf, sondern situiert modellieren auch außerhalb der Orientierung am menschlichen Subjekt. Materialitäten, Werkzeuge und Techniken werden zu Akteur_innen, die das Modell mitbestimmen und -formen.88Wendler 2013, S.83–86. Schließlich erkennt eine künstlerische Betrachtung des Modellierens – und wir können auch eine Betrachtung des künstlerischen Modellierens sagen – an, dass der Prozess sich selbst genügen kann. Modellieren hat auch stattgefunden, wenn kein fertiges, brauchbares, akzeptables Modell hervorgebracht wurde.
 
Im Transfer des Wissens der Künste um das Modellieren können so gestalterische, umfassende, verwobene, andauernde Qualitäten von Modellen auch außerhalb künstlerischer Kontexte sichtbar gemacht werden. Im Produktiven Verschwimmen der Grenzen zwischen Modell und modellieren, Anfang und Ende, lassen sich dynamische und allgegenwärtige Potenziale des Modellierens erkennen. Das Wissen der Künste liest „modellieren“ als semiotisch-materiell-diskursive Praxis, die sich prinzipiell aus unendlichen Anstößen speist.

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