verschalten

Ausgabe #10
Mai 2021
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Verschalten meint eine Praktik des Kombinierens und Umwidmens von vorhandenen Materialien zur Herstellung elektrischer Schaltungen. Der Vortrag wird am Beispiel des Rauschgenerators NG-04 nach Hans-Jochen Schulze und Georg Engel diskutieren, wie sich diese vom Schalten, also mathematischer Papierarbeit, unterscheidet.

Sie hörten weißes Rauschen, Rauschgenerator NG-04 nach Hans-Jochen Schulze und Georg Engel, Z-Diode 6,5 Volt

[01:03]            Schaltungen sind konstitutiv für Medientechnologien: Die Verbindungen einzelner elektrischer und elektronischer Bauelemente mittels Drähten und Kabeln zu Kreisen sind Grundlage technischer Medien: denn sie ermöglichen, dass Strom kontrolliert, regelhaft und später auch mathematisch informiert zirkulieren kann. Durch Prozesse der Standardisierung von Elektrotechnik und der fortschreitenden Miniaturisierung der verwendeten Materialien verschwanden Schaltungen spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend hinter Gehäusen, wo sie im Verborgenen auf kaum wahrnehmbare Art und Weise ‚schalten und walten‘. Die beiden Kulturwissenschaftler Wolfgang Schäffner und Bernhard Siegert haben in diesem Zusammenhang unter Rekurs auf die Informationstheorie nach Claude Shannon das ‚Schalten‘ als Form mathematischer Papierarbeit charakterisiert. Das meint, dass die später aufgebaute Schaltung lediglich Materialisierung vorheriger Berechnungen nach signal- und materialökonomischen Parametern ist.11Vgl. Schäffner, Wolfgang: „Topologie der Medien. Descartes, Peirce, Shannon“, in Andriopoulos, Stefan /
Schabacher, Gabriele / Schumacher, Eckhard (Hg.): Die Adresse des Mediums. Köln 2001, S. 82–93, hier: S. 89; Siegert, Bernhard: Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900, Berlin 2003, S. 10f.
 

[02:14]            Der Begriff ‚Verschalten‘ betont dem entgegen, dass den später als Schaltungen verstandenen materiellen Konfigurationen von Bauelementen und Drähten nicht nur Mathematik, sondern auch Praktiken des Ausprobierens und Kombinierens vorausgehen können. Bevor die Anwendung des Trigger Relay für elektronische Architekturen von Digitalcomputern Schalten Mathematik werden lässt,22Dennhardt, Robert: Die FlipFlop-Legende und das Digitale. Eine Vorgeschichte des Digitalcomputers vom Unterbrecherkontakt zur Röhrenelektronik 1837 – 1945,  Berlin 2009. ist es lange Zeit Handarbeit:  Spulen wickeln, Drähte biegen, Verbindungen löten. Und: Schaltungen zu entwickeln und aufzubauen ist auch keineswegs eine rein spezialisierte Angelegenheit der Elektroindustrie und Ingenieurswissenschaft.  Nach 1900 floriert die  Radio-Amateurszene und auch die Musik bleibt nicht unberührt. Die ersten rein elektronischen Musikinstrumente der 1920er Jahre sind gleichermaßen Resultat zeitgenössischer ästhetischer Vorstellungen, wie auch Ergebnisse schnöder Bastelei und Umwidmung – wenn man so will circuit bending33Hertz, Garnet / Parikka, Jussi: „Zombie Media: Circuit Bending Media Archaeology into an Art Method“, in: Leonardo 45/5 (2012), S. 424–430.– von Rundfunktechnologie.44Dörfling, Christina: Der Schwingkreis. Zur Vor- und Frühgeschichte elektronischer Musik, Paderborn (in Vorbereitung).

Funktionstest Sinusgenerator

[03:15]                       Wenn demnach nicht nur Mathematik sondern auch Bastelei der Ausgangspunkt eines Apparates sein kann, schreiben sich unweigerlich die Entscheidungen, Erfahrungen, Vorstellungen aber auch materiellen Möglichkeiten der Bastlerin in Design und Ästhetik der Schaltung und ihrer apparativen Realisierung mit ein. Das resultierende Gerät ist zum einen im wahrsten Sinne des Wortes customized – maßgefertigt. Zum anderen weist es damit im Umkehrschluss aber auch Spuren auf, die es von anderen unterscheid- und als potentielle Quelle musik- und medienwissenschaftlicher Forschung analysierbar machen: Die Wahl eines bestimmten Bauelements, die gewählte Form der Verkabelung ja selbst die Platine – ob gelocht oder geätzt – lassen gleichermaßen Rückschlüsse auf den Kontext der Entstehung von Schaltung und Apparat zu, wie sie auch Hinweise auf die Intentionen und Vorstellungen der involvierten Bastler:innen geben können.55Dass diese tatsächlich in philologischer Manier analysierbar sind, zeigt Sebastian Döring in seinem aktuellen Promotionsprojekt zum Synthesizer Friedrich Kittlers, dessen Schaltungen er gegen und mit den Aufschreibesystemen liest, vgl. Döring, Sebastian /Sonntag, Jan-Peter E.R.: „U-A-I-SCHHHHH. Über Materialitäten des Wissens und Friedrich Kittlers  selbstgebauten Analogsynthesizer“, in Busch, Kathrin / Dörfling, Christina / Peters, Kathrin / Szántó, Ildikó: Wessen Wissen? Materialität und Situiertheit in den Künsten, Paderborn 2018, S. M61–M80. Schaltungen als Resultat von Prozessen des Verschaltens zu verstehen, lenkt den Blick auf Analyseparameter wie verwendete Materialien, das gewählte oder nicht gewählte Schaltungsdesign aber auch mögliche elektrotechnisch formulierte ästhetische Präferenzen und Setzungen, wie sie erst im Vollzug der Schaltung wahrnehmbar werden.

[04:23]                       Um die Potentiale und vielleicht auch Herausforderungen einer derartigen Schaltungsforschung kurz zu umreißen, möchte auf ein Beispiel aus meiner eigenen Bastelarbeit zurückgreifen. Im Moment löte ich einen monophonen Analogsynthesizer66Und damit das elektronische Musikinstrument, bei dem die Entstehungshintergründe im Kontext der Radiobastlerdiskurse verortet und auch aufgearbeitet wurden, vgl. Pinch, Trevor / Tocco, Frank: Analog Days. The Invention and Impact of the Moog Synthesizer, Cambridge MA u.a. 2004., wie er von Hans-Jochen Schulze und Georg Engel in ihrem Buch Moderne Musikelektronik77Schulze, Hans-Jochen / Engel, Georg: Moderne Musikelektronik. Praxisorientierte Elektroakustik und Geräte zur elektronischen Klangerzeugung, Berlin 1989. (Militärverlage der DDR) 1989 vorgeschlagen wird. Derartige Bastelbücher sind für sich genommen bereits eine aufschlussreiche Quelle, als sie zum einen den Pragmatismus der Elektronikamateurin mit ästhetischen Setzungen und Vorstellungen der Zeit verbinden. Zum anderen geben sie Aufschluss über die Zugänglichkeit von und Wissen um elektrotechnische Materialien und Erkenntnisstände ihrer Zeit für die Allgemeinheit. Hier ist z.B. der Umstand augenfällig, dass nun endlich integrierte Schaltkreise in der DDR verfügbar sind und mit sogenannten Chips gebastelt werden kann.88Das Vorgängerwerk Engels muss ob der Nichtverfügbarkeit in seinen Schaltungsdesigns auf ICs verzichten, was zum einen den materiellen Aufwand, alles mit Transistoren aufzubauen, immens erhöht, zum anderen aber auch Rückschlüsse auf die elektrotechnische Industrie der DDR zu Beginn der 1980er Jahre zulässt, vgl. Engel, Georg: Musikelektronik, Berlin 1982.

Bereits aufgebaute Schaltungen nach Engel/Schulze

[05:19]                       Die vorgeschlagenen Schaltungen sind laut den Autoren allerdings nicht als absolute Setzung zu verstehen, sondern erfordern auch Eigeninitiative der Bastelnden. Das verdeutlicht sich u.a. dann, wenn sie in den Erläuterungen zu ihrer Filterschaltung schreiben: „Die Werte der Bauelemente können in weiten Grenzen geändert werden. Schäden entstehen nicht, und das Ergebnis von Veränderungen ist hörbar.“99Engel / Schulze: Moderne Musikelektronik, S. 119. Was damit gemeint ist, möchte ich kurz am Beispiel der im Buch konzipierten NG-04-Rauschgeneratorschaltung vor Ohren führen.

[05:41]                       Engel und Schulze schreiben über diese Baugruppe einleitend:
„Schließlich fehlt der Rauschgenerator NG (Noise-Generator) in keinem Synthesizer. Der NG ist sowohl Audiosignalerzeuger als auch Steuergenerator. […] Der Rauschgenerator liefert weißes Rauschen, welches für die erwähnten Klangsynthesen [Meeresbrandung, Windgeräusche, Beifall, Becken, etc.] benötigt wird. Bei vielen Schaltungen wird darüber hinaus rosa Rauschen (Pink Noise) bereitgestellt. Dazu wurde weißes Rauschen mir einem Tiefpass gefiltert, so daß die hohen Frequenzanteile fehlen. Diese Filterung kann so weit getrieben werden, daß als Ergebnis nur noch eine Zufallsspannung (Random Voltage) von ehemals weißem Rauschen übrigbleibt […] Benötigt wird diese Zufallsspannung als Steuergröße für VCO und VCF zur Klangsynthese eben der geschilderten Klangphänomene – Spiel auf gesprungenen Gläsern.“1010Ebd., S. 191.

Schaltplan NG-04-Rauschgenerator

[06:49]                       Im Schaltungsdesign von Engel und Schulze, bildet ein in Sperrrichtung betriebener Transistor (V1) die sogenannte Rauschquelle. Das heißt eben dieses Bauelement entscheidet über den Charakter des später zu hörenden Klangs und kann entsprechend der ästhetischen Präferenzen, oder auch Vorstellungen der Bastelnden, wie Meeresrauschen oder gesprungene Gläser zu klingen haben, variiert werden.

[07:15]                       Bei dem eingangs eingespielten Soundbeispiel handelt es sich um „weißes Rauschen“ eben dieser Schaltung. Es ist Teil einer Testsequenz, die ich während des Baus aufgenommen habe, um die Auswirkungen verschiedener Bauelemente als Rauschquelle herauszufinden. Mein Anliegen, den späteren Apparat weitestgehend mit Original-Ost-Komponenten aufzubauen – also einen etwaigen DDR-Sound zu rekonstruieren – erschwert das Projekt insofern, als ich auf der Suche nach entsprechenden Bauelementen zum Teil mit einer materiellen Absenz konfrontiert bin, die nicht immer durch Ebay und Co kompensiert werden kann. Da mir zum Zeitpunkt des Schaltungsaufbaus der laut Plan vorgegebene Silizium-Transistor SF 126d nicht zur Verfügung stand, probierte ich sowohl verschiedene moderne Z-Dioden, als auch ‚antike‘ sozialistische Bauteile aus. Dabei hat jedes Bauelement einen anderen Sound, wie in der folgenden Auswahl von Testsequenzen zu hören ist:

Das Bild zeigt die aufgebaute NG-04-Schaltung (re.) sowie die ausprobierten Bauelemente. Die Rauschquelle wird oben links auf der Lochrasterplatte positioniert. Zu sehen ist die halb angelötete Z-Diode 6,5V (blau mit langen Beinchen) im Schalttest.

[Klangbeispiele]

[08:15]                      Weißes Rauschen Z-Diode 2,7 V

[08:23]                      Rosa Rauschen Z-Diode 2,7 V

[08:33]                      Weißes Rauschen Z-Diode 9, 4 V

[08:43]                     Rosa Rauschen Z-Diode 9,4 V

[08:51]                      Weißes Rauschen Germaniumtransistor DDR

[08:97]                      Rosa Rauschen Germaniumtransistor DDR

[09:07]                      Weißes Rauschen Diode UdSSR ca. 1950

[09:21]                      Rosa Rauschen Diode UdSSR ca. 1950

[09:32]                      Weißes Rauschen Diode GAZ 17V DDR

[09:47]                       Rosa Rauschen Diode GAZ 17V DDR

[09:54]                      Am Ende habe ich mich für die DDR-Diode GAZ 17V entschieden, einfach, weil sie in meinen Ohren am angenehmsten klang und ein solides, also frequenzfestes Rauschen generiert. Diese Entscheidung wird am Ende, wenn der Apparat hoffentlich irgendwann fertig ist, lediglich ein Bruchteil des finalen Geräts ausmachen – eine winzige Platine ca. vier mal sechs Zentimeter groß im Gehäuse, eine Kontrolllampe im Bedienboard und lediglich zwei Signalausgänge. Meine kleine Schaltungsvariation wird dem Endresultat oberflächlich dann genauso wenig anzusehen sein, wie Ebay-Käufe und Testsequenzen. Erst wenn der Deckel abgeschraubt und die Leiterplatte mit dem Schaltplan gelesen wird, wird die GAZ 17 V eben diese vorgängigen Prozesse indizieren. Es sei denn, sie ist dann durchgebrannt.

    Fußnoten

  • 1Vgl. Schäffner, Wolfgang: „Topologie der Medien. Descartes, Peirce, Shannon“, in Andriopoulos, Stefan /
    Schabacher, Gabriele / Schumacher, Eckhard (Hg.): Die Adresse des Mediums. Köln 2001, S. 82–93, hier: S. 89; Siegert, Bernhard: Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900, Berlin 2003, S. 10f.
  • 2Dennhardt, Robert: Die FlipFlop-Legende und das Digitale. Eine Vorgeschichte des Digitalcomputers vom Unterbrecherkontakt zur Röhrenelektronik 1837 – 1945,  Berlin 2009.
  • 3Hertz, Garnet / Parikka, Jussi: „Zombie Media: Circuit Bending Media Archaeology into an Art Method“, in: Leonardo 45/5 (2012), S. 424–430.
  • 4Dörfling, Christina: Der Schwingkreis. Zur Vor- und Frühgeschichte elektronischer Musik, Paderborn (in Vorbereitung).
  • 5Dass diese tatsächlich in philologischer Manier analysierbar sind, zeigt Sebastian Döring in seinem aktuellen Promotionsprojekt zum Synthesizer Friedrich Kittlers, dessen Schaltungen er gegen und mit den Aufschreibesystemen liest, vgl. Döring, Sebastian /Sonntag, Jan-Peter E.R.: „U-A-I-SCHHHHH. Über Materialitäten des Wissens und Friedrich Kittlers  selbstgebauten Analogsynthesizer“, in Busch, Kathrin / Dörfling, Christina / Peters, Kathrin / Szántó, Ildikó: Wessen Wissen? Materialität und Situiertheit in den Künsten, Paderborn 2018, S. M61–M80.
  • 6Und damit das elektronische Musikinstrument, bei dem die Entstehungshintergründe im Kontext der Radiobastlerdiskurse verortet und auch aufgearbeitet wurden, vgl. Pinch, Trevor / Tocco, Frank: Analog Days. The Invention and Impact of the Moog Synthesizer, Cambridge MA u.a. 2004.
  • 7Schulze, Hans-Jochen / Engel, Georg: Moderne Musikelektronik. Praxisorientierte Elektroakustik und Geräte zur elektronischen Klangerzeugung, Berlin 1989.
  • 8Das Vorgängerwerk Engels muss ob der Nichtverfügbarkeit in seinen Schaltungsdesigns auf ICs verzichten, was zum einen den materiellen Aufwand, alles mit Transistoren aufzubauen, immens erhöht, zum anderen aber auch Rückschlüsse auf die elektrotechnische Industrie der DDR zu Beginn der 1980er Jahre zulässt, vgl. Engel, Georg: Musikelektronik, Berlin 1982.
  • 9Engel / Schulze: Moderne Musikelektronik, S. 119.
  • 10Ebd., S. 191.
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