Es verstand sich von selbst, dass wir die documenta 14 besuchen. Denn von einer Großausstellung wie der documenta ist zu erwarten, dass sie die Institution Kunst kritisch befragt und über die Hybridität von Gegenwartskunst nachdenkt. So etwas steht auf dem Programm eines Graduiertenkollegs an der Universität der Künste Berlin. Als wir im Mai gemeinsam in Kassel waren – einige waren zuvor und danach auch in Athen –, hat sich gezeigt, dass die documenta 14 über dieses allgemeine Interesse an einer Verhandlung von Gegenwartskunst hinaus viel spezifischer noch ein Thema für das „Wissen der Künste“ ist, ein Thema, mit dem wir uns in je einzelnen Forschungsprojekten beschäftigen, die aber allesamt die Frage nach den epistemischen Möglichkeiten ästhetischer Praktiken im Blick haben. Im vergangenen Jahr haben wir begonnen, uns mit dem Konzept des situierten Wissens in Bezug auf die Künste zu befassen; wir haben über dekoloniale Ästhetiken diskutiert sowie über Zeitkonzepte die in eine ebenso spekulative Zukunft wie spekulative Vergangenheit entlassen werden.
In einer solchen Perspektive lässt sich dem, was die documenta 14 unternimmt, womöglich etwas genauer und auch offener nachgehen, als es den erwartungsgemäß und notorisch negativen Besprechungen in den überregionalen Feuilletons gelungen ist. Überregionalität wäre dabei schon ein Stichwort, denn die documenta 14 setzt sehr entschieden auf partikulare Perspektiven, die man in einem bestimmten Blick auf ‚die‘ Gegenwartskunst zwar als regionalistisch beschreiben kann, die sich aber eben auch als eine Absage an Internationalität und große Gesten verstehen lässt, die immer von den selben Standorten aus formuliert werden. Ist darin, lässt sich fragen, nicht eine Kunst-Nichtkunst-Unterscheidung eingelassen, die oft genug einhergeht mit einer Unterscheidung zwischen ‚westlicher‘ Kunst einerseits und irgendwie peripheren oder ethnischen ‚kleinen‘ Praktiken andererseits? Noch so selbstkritischen Autonomie- und Entgrenzungsdiskursen zum Trotz? Welche epistemische Ordnung der Künste zeigt sich in einer Rede von der durchaus politischen, aber nicht ästhetischen Relevanz solcher Praktiken und Artefakte? Wie passen feministische und queer-feministische Positionen und ein verkörpertes Wissen hier hinein oder gerade nicht hinein?
Auch die Frage nach der Gegenwart von Gegenwartskunst knüpft hier an: Welches Zeitkonzept wird bestritten, wenn Gegenwartskunst in die Vergangenheit verlängert wird, Genealogien entfaltet werden, die von aktuellen Restitutionsansprüchen zu Phantasien des Europäischen im 18. Jahrhundert führen? Wenn eine Zeitgenossenschaft von Positionen behauptet wird, die jahrzehntelang im Verborgenen ausgearbeitet wurden? In welchem Verhältnis stehen Herkünfte und Besitz von Kunst in Bezug zu einem Wissen über Kunst?
Ein Workshop war der Exkursion vorausgegangen, in dem wir mit dem Kunstwissenschaftler Lutz Hengst die Geschichte der documenta und ihrer immer wieder politisch bekräftigten Modernität haben Revue passieren lassen; die Autorin und Dramaturgin Margarita Tsomou berichtete von ihrer Arbeit im öffentlichen Programm „Parlament der Körper“ in Athen und dem vielleicht gescheiterten, mindestens heiklen Versuch, von Deutschland aus dort eine Gesellschaft der Zu- und Zusammengehörigkeit zu initiieren. Jedes „Learning from“ setzt voraus, die Bedingungen zu thematisieren, unter denen der eine von der anderen lernen kann oder auch soll, nicht zuletzt die ökonomischen.
Die folgenden kurzen Texte von Kollegsmitgliedern und Gästen, die wir nach und nach veröffentlichen, setzen an kleinen Beobachtungen an, greifen einzelne künstlerische Arbeiten und Konstellationen auf und versuchen so im Schreiben fortzusetzen, was das Potenzial partikularer Standpunkte sein könnte. (Kathrin Peters)