FEEL FREE TO ASK ME ABOUT MY WORKING CONDITIONS. Eine kleine Stilkritik der documenta 14

Ausgabe #6
Juli 2017
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Wie verhält sich der politische Anspruch der Documenta-Macher_innen zur Realität, die sie mit der Schau generieren? Der Artikel geht dieser Frage mit Blick auf die Arbeitsbedingungen der Kunstvermittler bei der d14 nach und vollzieht einen Abgleich zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Der (Eigen-) Anspruch der diesjährigen documenta könnte kaum größer sein: Mit Vehemenz widmet sich die 14. Ausgabe des größten internationalen Ausstellungsprojekts den brennenden politischen und sozialen Fragen einer Welt unter den Vorzeichen „des real existierenden Neoliberalismus, jenes Ort- und gesichtslosen Gebildes mit seinen mannigfaltigen Apparaten, das heute innerhalb des allgemeinen Rahmens der Kolonialität die Existenz aller auf dem Planeten lebenden Menschen bestimmt.“ 11Szymczyk, Adam: „Iterabilität und Andersheit: Von Athen aus lernen und agieren“, in: Latimer, Quinn/Szymczyk, Adam (Hg.): Der documenta 14 Reader, München/London 2017, S. 17–42, hier: S. 23. Das Themenspektrum reicht dementsprechend von den Ursachen und Konsequenzen von Krieg und Gewalt, Vertreibung und Unterdrückung über rassistische, ethnische und sexuelle Diskriminierung, den weltweiten Aufschwung nationalistischer Tendenzen und der nicht weniger verbreiteten Erosion demokratischer Strukturen bis hin zu den mannigfaltigen Formen der Ausbeutung natürlicher und menschlicher „Ressourcen“: Für Adam Szymczyk ist die Documenta „eine Ausstellung zu zeitgenössischen Themen, nicht zwingend von zeitgenössischer Kunst.“ 22Vgl. Lorch, Catrin: „Der blinde Fleck“ (Interview mit Adam Szymczyk), in: Süddeutsche Zeitung, 15. April 2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-der-blinde-fleck-1.2434563 (letzter Zugriff am 22.08.2017). Doch den Macher_innen der d14 reicht der kritische Hinweis auf die Weltlage und ihre „vergessenen“ Krisen nicht aus, hegen sie doch die Hoffnung, „dass die Dokumenta 14 einer von vielen Schritten sein wird auf dem Weg in eine Welt, in der wir leben wollen“. 33Szymczyk 2017, S. 42. Und so darf sich die Kunst nicht mit der Dokumentation der Zustände begnügen, sondern soll zur Einmischung anregen, Wirkung im Realen zeigen und uns zu „Inhaber_innen statt Konsument_innen“ unseres Lebens machen. 44Vgl. ebd.

Die Vermittlung dieses anspruchsvollen Programms und seiner nicht minder anspruchsvollen Inhalte obliegt den Choristen. Sie sollen dem Publikum Ausstellung und  Kunstwerke nicht in „Führungen“ erläutern, sondern die Besucher_innen auf „Spaziergängen“ zur kollektiven Auseinandersetzung mit und zum Austausch über Kunst und Konzept animieren und anleiten. Dabei weist das Vermittlungskonzept der d14 dem Chorus die dem antiken Theater entlehnte Position zwischen Publikum und Bühne zu, von welcher aus das Geschehen mal kommentiert und interpretiert, mal beeinflusst wird. Anderseits soll die Vielstimmigkeit des Chorus auf die Individualität der Zugänge zur Ausstellung verweisen, die seine Mitglieder mitbringen. Vermittelt werden soll ganz im Sinne des von Szymczyk propagierten „unlearning“ nicht einfach Wissen, sondern „eine Erfahrung“, die ein „anderes Lernen“ und Bildung als „offene Form“ ermöglicht. 55Zum Kunstvermittlungskonzept der documenta 14 vgl.: URL: http://www.documenta14.de/de/public-education/ (letzter Zugriff am 22.08.2017).  Mit diesem Programm wollen sich die Macher_innen der d14 nicht zuletzt von den vorangegangene Ausgaben der Schau abgrenzen, die sie einem „Ausstellungskomplex“ zurechnen, der „die Bürger_innen so erziehen soll, dass sie sich freiwillig selbst beherrschen“. 66Bennet, Tony: „Der Ausstellungskomplex“, in: Latimer, Quinn/Szymczyk, Adam (Hg.): Der documenta 14 Reader, München/London 2017, S. 355–400, hier: S. 360.

Abb. 1
Felix Laubscher: Tasche einer Chorist_in, getragen in Kassel, Juni 2017.
Digitale Fotografie.
© Felix Laubscher.

Um so mehr überrascht es, dass Adam Szymczyk und sein Team, wie schon ihre Vorgänger_innen bei der d13, die Planung und Umsetzung ihres Vermittlungskonzeptes an die Münchner Kreativagentur Avantgarde abgibt, deren Expertise laut Selbstdarstellung vor allem darin liegt, „mitreißende Markenerlebnisse zu konzipieren, die Konsumenten zu Fans macht.“  77Onlineauftritt von Avantgarde, URL: https://www.avantgarde.net/de/about/ (letzter Zugriff am 22.08.2017). Auch die 200 Choristen in Kassel sind wieder als freie Mitarbeiter für Avantgarde tätig. Anders bei den worldly companions der d13 handelt es sich aber nicht um interessierte Laien, sondern um professionelle Kulturarbeiter unterschiedlichster Couleur, die gerade wegen ihrer Qualifikation ausgewählt wurden. Dennoch erhalten auch die Choristen – wie schon 2012 – eine Vergütung von lediglich 70 € pro Spaziergang. Vergütet wird damit aber nicht allein die zweieinhalbstündige Führung, sondern pauschal auch die täglich anfallende inhaltliche und organisatorische Vorbereitung, die vertraglich geforderte Zusatzversicherung, die obligatorische Weiterbildung, die im Vorfeld der d14 an sechs Wochenenden in Kassel zu durchlaufen war, und die dabei angefallenen Reise- und Unterbringungskosten für die aus ganz Deutschland und Europa stammenden Choristen. Gleichzeitig enthebt sich Avantgarde per Rahmenvereinbarung jeglicher Verpflichtung ein Minimum an Einsätzen zu garantieren: Arbeit gibt es nur, wenn der Kunde nach der Dienstleistung verlangt. Damit reproduziert die d14 und ihre Macher_innen jenes neoliberale Gebaren, in dem sie den Grund allen Übels sehen. Sie zwingen ihre eigenen Mitarbeiter in eben diese prekären Verhältnisse, die sie andernorts zurecht kritisieren und scheinen in bester neoliberaler Tradition zu glauben, sich durch Outsourcing der Verantwortung entledigen zu können. Nicht nur die Rede Szymczyks von der Documenta als „ausgezeichnetes Vehikel, um über die Rolle nachzudenken, die die Kulturproduktion in diesem scheinbar eingerichtetem System aus Produktion und Konsumtion, ästhetischer Betrachtung und Investition üblicherweise zu spielen hat, sowie unserer spezifischen Funktionen darin“ 88Szymczyk 2017, S. 24. wird vor diesem Hintergrund zur leeren Phrase.

    Fußnoten

  • 1Szymczyk, Adam: „Iterabilität und Andersheit: Von Athen aus lernen und agieren“, in: Latimer, Quinn/Szymczyk, Adam (Hg.): Der documenta 14 Reader, München/London 2017, S. 17–42, hier: S. 23.
  • 2Vgl. Lorch, Catrin: „Der blinde Fleck“ (Interview mit Adam Szymczyk), in: Süddeutsche Zeitung, 15. April 2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-der-blinde-fleck-1.2434563 (letzter Zugriff am 22.08.2017).
  • 3Szymczyk 2017, S. 42.
  • 4Vgl. ebd.
  • 5Zum Kunstvermittlungskonzept der documenta 14 vgl.: URL: http://www.documenta14.de/de/public-education/ (letzter Zugriff am 22.08.2017).
  • 6Bennet, Tony: „Der Ausstellungskomplex“, in: Latimer, Quinn/Szymczyk, Adam (Hg.): Der documenta 14 Reader, München/London 2017, S. 355–400, hier: S. 360.
  • 7Onlineauftritt von Avantgarde, URL: https://www.avantgarde.net/de/about/ (letzter Zugriff am 22.08.2017).
  • 8Szymczyk 2017, S. 24.
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