Kuratorische Symbolisierung: Über eine politische Geste der documenta 14

Ausgabe #6
Juli 2017
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Themen des Texts

Ausstellung Geste

Der Artikel setzt sich kritisch mit der kuratorischen Geste der documenta 14 auseinander, ihren zentralen Spielort in Kassel, das Fridericianum, zur Gänze mit Werken der Sammlung des Athener Nationalen Museums für zeitgenössische Kunst (EMST) zu bespielen. Diese Geste wird im Bezug auf die Gefahr einer kuratorischen Symbolisierung von künstlerischen Arbeiten diskutiert, die auch andere kuratorische Gesten der Ausstellung heimsucht.

Die künstlerische und die kuratorische Ebene einer Ausstellung stehen in einer unauflöslichen Spannung zueinander. Diese Spannung ist es, die die ästhetische Bedeutung der Ausstellung ausmacht. 11Die kuratorische Ebene einer Ausstellung ist von ihrer künstlerischen Ebene nur heuristisch zu unterscheiden. Der/dem nicht besonders vorinformierten Besucher_in, deren Perspektive wir hier einnehmen wollen, erscheint die Ausstellung als ein Geflecht künstlerischer Arbeiten, die sich auf Weisen zueinander verhalten, die nicht eindeutig dem Kuratorischen oder dem Künstlerischen zuzurechnen sind, sondern das künstlerisch Partikulare mit dem kuratorisch Allgemeinen verbinden. Nichtsdestotrotz gibt es bezeichnende Unterschiede in der inszenatorischen Präsentation künstlerischer Objekte und Ereignisse innerhalb von Ausstellungen. Die einen verweisen auf ein (hypothetisches oder hypostasiertes) Künstler_innen-Subjekt, die anderen auf ein (ebensolches) Kurator_innen-Subjekt. Oder vielmehr: Die einen werden als Aspekte einer einzelnen künstlerischen Arbeit wahrgenommen und die anderen als Aspekte der Ausstellung im Ganzen. Nun kann diese Spannung aber auch nach der einen oder der anderen Seite kippen, etwa wenn sich eine künstlerische Arbeit zu dem Bedeutungszusammenhang, in dem sie eingebettet ist, auf keine Weise verhält. Oder wenn der kuratorische Kontext eine künstlerische Arbeit zum bloßen Ausdruck seines konzeptuellen Metadiskurses macht und sie mithin auf ein Symbol reduziert, wenn er sie also symbolisiert. In diesem Fall kollabiert die Spannung zwischen der kuratorischen und der künstlerischen Ebene: Das große Ganze macht das Partikulare klein.

Obschon dem Kurator Adam Szymczyk und seinem achtzehnköpfigen Team eine ästhetisch, geografisch und historisch vielstimmige Ausstellung gelungen ist, weist die documenta 14 makroskopisch einen starken Zug in die besagte Richtung auf. Wenn etwa der zentrale und ikonische Spielort der documenta überhaupt, das Fridericianum, im Ganzen vom EMST bespielt wird, das zwar eine reiche Sammlung, aber keine Räume hat, sie zu zeigen (weil das Geld fehlt, das fertiggestellte Gebäude auch zu betreiben). Wenn die documenta 14 diesem Museum also ihr Haupthaus für eine „museologische Untersuchung“ seines Bestands durch seine Direktorin Katerina Koskina überlässt, dann ist dies in erster Linie eine kuratorische Geste. 22Vgl. documenta 14: Kassel Map Booklet, S. 12. Freilich kann man hier die Werke stets auch für sich betrachten und Bezüge zwischen ihnen herstellen, die im Einzelnen durchaus produktiv sind. Dabei geht es v.a. um die komplexe Realität des heutigen Griechenlands und den Austausch zwischen griechischen Künstler_innen und dem internationalen Kunstdiskurs. Es werden zudem Bezüge zum Ausstellungsort, dem Fridericianum, hergestellt. Dieser Eindruck wird durch den Titel der als Installation beschriebenen Ausstellung in der Ausstellung nicht geschmälert, nämlich Antidoron, zu Deutsch „Ersatzgabe“.

In welchem Verhältnis steht diese Geste nun zur dort gezeigten Kunst? Eine Kunst, deren Werke auch andere hätten sein können. Eine Kunst, deren Künstler_innen im offiziellen Katalog der documenta 14, dem Daybook, nicht verzeichnet sind. Eine Kunst, deren kuratorisch entscheidendes Kriterium in ihrer Provenienz liegt, in ihrer Herkunft aus eben dieser Athener Sammlung. Eine Sammlung, der aufgrund der eklatanten Ungerechtigkeit europäischer Finanzpolitik und der fortschreitenden Umverteilung öffentlicher Ressourcen in privatwirtschaftlichen Besitz die Existenzgrundlage entzogen oder vielmehr gar nicht erst gegeben wurde.

Die Antidoron-Geste ist also politisch mehr als legitim. Ist sie aber auch künstlerisch produktiv, was meines Erachtens bedeutet, mit den figurativen, generativen oder formativen Mitteln der Kunst über die Geltung des Gegebenen hinauszugehen? Und, so muss man weiter fragen, ist sie in dieser Hinsicht überhaupt politisch produktiv oder verbleibt sie im Rahmen einer bloßen Symbolpolitik, die zwar etwas über die politischen Ansichten desjenigen aussagt, der sie äußert, aber zur Ver- und Aushandlung der Sache selbst nichts beiträgt? Diese Fragen sind keine rhetorischen und vermutlich das stärkste Produkt der ihnen zugrunde liegenden Geste. Die ausgestellten Arbeiten, die diese Geste transportieren, indes – sie sind austauschbar.

Das unbehauste Athener Museum für zeitgenössische Kunst bekommt in Kassel ein Haus – zeitweise zwar, aber dafür nicht irgendeines. Polemisch zugespitzt könnte man fragen: Ist historische Gerechtigkeit ein guter Antrieb für die Kunst? Ein legitimer allemal, aber ist sie auch ein produktiver? Dies, so könnte man sagen, ist der eigentliche kuratorische Metadiskurs der Antidoron-Bespielung des Fridericianums, der mit dieser politisch entschiedenen Geste nicht (ganz) zusammenfällt. Nun wäre dies alles bloß eine Randnotiz zur documenta 14, wenn nicht auch andernorts die kuratorische Präsentation der künstlerischen Arbeiten (Konstellation, Inszenierung, textliche Rahmung, Vermittlung etc.) die Tendenz aufweisen würde, die ästhetische Komplexität zugunsten des symbolischen Gehalts zurückzustellen. Ich denke hier insbesondere an die documenta-Halle, aber auch an die Eingangssituation des Neuen Neue Museums.

Der Diskurs um historische Gerechtigkeit richtet sich auf die Vergangenheit sowie auf die Gegenwart, in der sie nach- oder fortwirkt. Die Zukunft bildet dabei bloß einen unbestimmten Echoraum für die (beabsichtigten) Konsequenzen dieses Diskurses selbst. Es gehört aber zur besonderen Kraft der Kunst, bestimmte Zukünfte, mögliche und unmögliche, zu entwerfen oder gar vorwegzunehmen. Diese Kreativität ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn sie im Feld des Politischen produktiv gemacht wird – dazu reichen aber keine Gesten.

Gefragt, wie er den Erfolg der documenta 14 in Athen und Kassel definieren würde, antwortete Adam Szymczyk der New York Times: „The fact that it happens.“ 33Donadio, Rachel: „German Art Exhibition documenta Expands Into Athens“, in The New York Times (5. April 2017). Dies mag für kuratorische Gesten gelten, nicht aber für eine kuratierte Kunstausstellung mit einer starken politischen Agenda.

    Fußnoten

  • 1Die kuratorische Ebene einer Ausstellung ist von ihrer künstlerischen Ebene nur heuristisch zu unterscheiden. Der/dem nicht besonders vorinformierten Besucher_in, deren Perspektive wir hier einnehmen wollen, erscheint die Ausstellung als ein Geflecht künstlerischer Arbeiten, die sich auf Weisen zueinander verhalten, die nicht eindeutig dem Kuratorischen oder dem Künstlerischen zuzurechnen sind, sondern das künstlerisch Partikulare mit dem kuratorisch Allgemeinen verbinden. Nichtsdestotrotz gibt es bezeichnende Unterschiede in der inszenatorischen Präsentation künstlerischer Objekte und Ereignisse innerhalb von Ausstellungen. Die einen verweisen auf ein (hypothetisches oder hypostasiertes) Künstler_innen-Subjekt, die anderen auf ein (ebensolches) Kurator_innen-Subjekt. Oder vielmehr: Die einen werden als Aspekte einer einzelnen künstlerischen Arbeit wahrgenommen und die anderen als Aspekte der Ausstellung im Ganzen.
  • 2Vgl. documenta 14: Kassel Map Booklet, S. 12. Freilich kann man hier die Werke stets auch für sich betrachten und Bezüge zwischen ihnen herstellen, die im Einzelnen durchaus produktiv sind. Dabei geht es v.a. um die komplexe Realität des heutigen Griechenlands und den Austausch zwischen griechischen Künstler_innen und dem internationalen Kunstdiskurs. Es werden zudem Bezüge zum Ausstellungsort, dem Fridericianum, hergestellt.
  • 3Donadio, Rachel: „German Art Exhibition documenta Expands Into Athens“, in The New York Times (5. April 2017).
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